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Fakten zur Aufführung 

LILIOM
(John Neumeier,
frei nach Ferenc Molnár)
30. September 2012
(Premiere am 4. Dezember 2011)

Hamburgische Staatsoper


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Zerplatzte Träume

Liliom, ein großer, hübscher Frauenheld mit derben Umgangsformen, arbeitet als Karussellführer auf dem Jahrmarkt. Er hat ein Liebesverhältnis mit seiner Chefin Frau Muskat, bis er sich in Julie verliebt, Frau Muskat verlässt und seinen Job verliert. Nun nimmt die Tragödie ihren Lauf. Arbeitslos und ohne Zukunftsperspektive trinkt Liliom und schlägt aus Frust seine Frau. Auf der Hochzeit der Freunde Marie und Wolf, die sich nicht wie Liliom in ihren Träumen verlieren, sondern ein bodenständiges Leben führen, versucht er einen Diebstahl, um an Geld zu kommen für sein Kind, mit dem Julie schwanger ist. Der Diebstahl misslingt, Liliom wird von der Polizei gestellt, erkennt die Aussichtslosigkeit seiner Lage und ersticht sich. Nach sechzehn Jahren im Himmel kehrt er kurz auf die Erde zurück, mit einem gestohlenen Stern, den er seinem Sohn Louis zur Versöhnung schenken will. Doch der erkennt ihn nicht und stößt ihn von sich. Aus Frust über die Zurückweisung schlägt Liliom seinen Sohn. Dieser empfindet den Schlag aber wie eine Umarmung, ebenso wie seine Mutter, die hinzu kommt, und Liliom kehrt zurück in den Himmel.

John Neumeier inszeniert sein Ballett frei nach dem gleichnamigen Bühnenstück des ungarischen Dramatikers Ferenc Molnár aus dem Jahr 1909. Die Musik schrieb Michel Legrand. Im Prolog tritt ein Ballonverkäufer, schwarz gekleidet und mit einem Strauß bunter Ballons, auf. Die Musik setzt ein, der Vorhang hebt sich und gibt den Blick frei auf den verfallenen Jahrmarkt „Playland“. Neumeier stellt das letzte Bild, die Versöhnung zwischen Liliom, Julie und Louis, an den Anfang, bevor die Geschichte mit dem Geschehen in „Playland“ beginnt.

Der Jahrmarkt dient als Projektionsfläche für eine farbenfrohe, poetische Traumwelt, in der sich die Figuren ihren Illusionen hingeben. Im Gegensatz dazu steht die harte, farblose Realität, in der Arbeitslosigkeit, Gewalt und zerplatzte Träume alltägliche Gegebenheiten sind, mit denen sich die Figuren auseinandersetzen müssen, und die es ihnen unmöglich machen, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen.

In wunderschönen poetischen Bildern erzählt John Neumeier die Liebesgeschichte zwischen Liliom und Julie. Der ausdrucksstarke Tanz der beiden Hauptdarsteller Carsten Jung und Alina Cojocaru, dem das übrige Ensemble in nichts nachsteht, zeigt die gegenseitige Hingabe von Liliom und Julie, die sich ihre Liebe jedoch nicht eingestehen können. Begleitet wird diese Szene, wie fast alle, von einem Luftballon, der als Symbol für die Träume steht; und von schwelgenden Streicherklängen aus dem Orchestergraben. Diese Klänge werden kontrastiert von der NDR-Bigband, die auf einer Empore auf der Bühne Platz nimmt und passend zum Geschehen auf dem Jahrmarkt pompöse Klänge ertönen lässt, die an Filmmusik und den Swing der 1930-er Jahre erinnern.

Die Musik Legrands begleitet die ausdrucksstarken Bilder von John Neumeier. Der Zuschauer wird mit Dur- und Mollklängen, Melodien und Motiven, die einzeln, vermischt und kontrastierend daherkommen, an die Hand genommen und durch das Stück geleitet. Diese musikalischen Elemente unterstützen auch die von Neumeier inszenierten, farbigen Symbole. In Lilioms Sterbeszene jedoch ist alles weiß: das Tischtuch, mit dem Julie – in einem weißen Kleid – ihn zudeckt, die Luftballons, und selbst der Luftballonverkäufer. In der letzten Szene, der großen Versöhnung der Familie, wird auch das Leben mit dem Tod versöhnt: Der Luftballonverkäufer trägt schwarze Kleidung, weiße Handschuhe und bunte Luftballons.

Auch der Clown des Jahrmarktes, der durch Fröhlichkeit und Traurigkeit beide Welten – Traumwelt und Wirklichkeit – in sich vereint, tritt immer wieder auf und erinnert daran, dass letztlich die Entscheidung für eine Lebensweise ansteht: Wer sich seinen Träumen hingibt, läuft Gefahr, die Realität zu verkennen, und wer ein bodenständiges Leben führt, muss seine Träume vielleicht aufgeben. Die Liebesgeschichte von Liliom und Julie kann also gedeutet werden als die Tragödie zweier Seelen, die nicht in der Lage sind, ihren Platz im wahren Leben zu finden. Dieser Konflikt ist in der ganzen Inszenierung präsent und kommt selbst in der Liebesszene zwischen Liliom und Julie zum Ausdruck, denn Liebe kann schnell in Brutalität umschlagen. So besteht keine Gefahr, dass die Geschichte zu sehr in Kitsch abgleitet.

Es ist beeindruckend, wie Neumeier in den Szenen, in denen es um große Emotionen geht, das Bühnenbild puristisch hält, die Kleidung in Farbe und Form zurückhaltend bleibt und selbst die Musik zurückgenommen wird, so dass Raum entsteht für die Fokussierung auf den ausdrucksstarken Tanz, der die Geschichte erzählt.

Das Publikum ist begeistert und belohnt diese auf allen Ebenen meisterhafte Inszenierung mit tosendem Applaus.

Manon Kadoke

 

Fotos: Holger Badekow