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Fakten zur Aufführung 

LEAR
(Aribert Reimann)
15. Januar 2012
(Premiere)

Staatsoper Hamburg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Heimkehr des verlorenen Sohnes

Die Uraufführung von Aribert Reimanns Lear ist ursprünglich für Hamburg geplant gewesen. Zum 300. Geburtstag der Hamburger Oper 1978 hat das Haus den Kompositionsauftrag vergeben, selbstredend ein paar Jahre zuvor, damit dem Komponisten genug Zeit bleibt. In der Zwischenzeit allerdings ist August Everding als Intendant von Hamburg nach München gegangen und nahm den Lear einfach mit. Dort hat dann am 9. Juli 1978 ein gewichtiges Werk der jüngeren Musiktheatergeschichte seine Premiere feiern können, mit Dietrich Fischer-Dieskau in der Titelpartie, der Reimann maßgeblich zur Vertonung des Lear-Stoffes angeregt hat.

Oft ist das Stück seitdem nachgespielt worden. Die Hamburger haben nun, in der Jubiläumsspielzeit zum 333. Geburtstag ihres Hauses, die Erstaufführung mit einer insgesamt großartigen Produktion bekommen. Sichtlich bewegt nimmt Aribert Reimann am Ende dieses fordernden Musiktheaterabends den ausgesprochen wohlwollenden Applaus eines beeindruckten Publikums entgegen.

Wie in seinen anderen Opern auch, orientiert sich Reimann ganz an der literarischen Vorlage. Claus H. Henneberg hat die deutsche Übersetzung von Shakespeares King Lear durch Johann Joachim Eschenburg aus dem Jahr 1777 verwendet und für die Oper gestrafft und gekürzt. König Lear will seine Macht abgeben. Diejenige seiner drei Töchter, die ihn am meisten liebt, soll den größten Teil des Reiches erhalten. Goneril und Regan heucheln ihm, angestachelt durch ihre Männer Albany und Cornwall, falsche Liebe vor, Cordelia spielt da nicht mit und wird nach Frankreich geschickt. Machthungrig und besessen bringen Goneril und Regan mit ihren Männern ein intrigantes und skrupelloses Spiel ins Rollen, das den Vater nicht nur seines Landes verweist, sondern ihn in den Wahnsinn treibt. Die Töchter, ihre Männer, Lears letzter Vertrauter Graf von Gloster und seine Söhne Edmund und Edgar verstricken sich immer weiter in einem schier nicht mehr aufhaltbaren Strudel aus abgründigen Taten aus persönlichen und politischen Motiven. Immer mehr Blut fließt, immer mehr Menschen sterben, Lear geht an diesem unmenschlichen Umfeld zugrunde, steht am Ende allein. Der Narr beobachtet die ganze Geschichte von außen.

Die Inszenierung liegt in den Händen von Karoline Gruber, die am Haus nach ihren Produktionen von Monteverdis Incoronazione di Poppea, Händels Giulio Cesare und Verdis Nabucco keine Unbekannte mehr ist, jetzt erstmals die Erarbeitung eines modernen Werkes vorlegt. Sie konzentriert sich vor allem auf die Innensicht der Figuren, zu ihren persönlichen Konflikten, die stärker sind als die politischen. Dabei gelingt ihr eine dichte, spannungsgeladene Personenführung. Roy Spahn schafft dazu einen Bühnenraum, der am Anfang vor grauen Wänden die Situation einer parlamentarischen Versammlung andeutet, sich immer mehr aufzulösen beginnt, sobald die Geschichte ihren Lauf nimmt. Drehbühne und bewegliche Wandelemente schaffen nicht nur flexible Wandlungsmöglichkeiten, sondern unterstreichen wirkungsvoll die wachsende Verwirrung des Geschehens. Mechthild Seipel gibt den Männern dazu schlichte Kostüme in überwiegend schwarz, grau und weiß, die jede für sich durchaus exaltierten Töchter dürfen etwas mehr Farbe tragen. Die Inszenierung zeigt durch in allen Belangen zeitlose Optik, dass die essentiellen Themen des Stücks wie persönliche Intrigen, Haltlosigkeit oder Geltungssucht allgegenwärtig sind.

Das Ensemble dominiert Bo Skovhus mit seinem Rollendebüt in der Titelpartie. Die Stimme des dänischen Baritons hat in ihrer nun schon mehr als zwei Jahrzehnte andauernden internationalen Karriere nichts an ihrem schönen baritonalen Schmelz, an perfektem Legato und hörbar am Kunstlied geschulter Klangkultur verloren. Gewonnen hat sie an Volumen und Charakterisierungsfähigkeit. Gepaart mit seinen ausgeprägten schauspielerischen Fähigkeiten zeichnet Skovhus ein beeindruckendes Porträt des dem Wahnsinn verfallenden und scheiternden Königs. Dafür feiert ihn das Publikum mit verdienten Ovationen.

Reimann fordert die Stimmen, führt sie immer wieder in extreme Lagen, changiert zwischen Melismen und Sprechgesang, webt nur gesprochene Passagen dazwischen. Diesen Anforderungen zeigt sich das gesamte Ensemble souverän gewachsen. Katja Pieweck, Hellen Kwon und Ha Young Lee als Lears Töchter stehen Lauri Vasar als Graf von Gloster, Moritz Gogg als Herzog von Albany, Peter Galliard als Herzog von Cornwall und Jürgen Sacher als Graf von Kent genauso ebenbürtig an der Seite wie Martin Homrich als Edmund und Andrew Watts als Edgar. Der Narr ist eine reine Sprechpartie und wird üblicherweise mit einem Schauspieler besetzt. Erwin Leder, einem breiteren Publikum aus Filmen wie Das Boot oder Schindlers Liste bekannt, füllt diese Rolle als wandlungsfähiger Darsteller ganz aus.

Reimanns Partitur lotet mit schroffen Klangflächen, eruptiven Clustern, groß auftrumpfenden und ebenso verhaltenen Gesten die Facetten des üppig besetzten Orchesterapparates aus. Hamburgs Opernchefin Simone Young geht dem mit großer Klarheit und ausgeprägtem Gespür für eine möglichst plastische Wiedergabe der Partitur nach und erreicht so einen ebenso intensiven wie suggestiven Klang, den die Philharmoniker in allen Instrumentengruppen, vor allem aber im Schlagwerk, eindrucksvoll ertönen lassen. Florian Csizmadia hat den Chor als homogenes Kollektiv auf seine kurzen Partien exzellent vorbereitet.

Nicht alle Zuschauer können Reimanns eindrucksvollem Werk genug abgewinnen, nach der Pause bleiben einige Plätze leer. Neben dem enthusiastischen Beifall für Skovhus gibt es ebenso ungeteilte Zustimmung für Simone Young und das übrige Ensemble. Karoline Gruber und ihr Team müssen einige Buhs aushalten, die vehemente Bravo-Rufer zu übertönen versuchen. Die Anstrengung des Stücks macht sich bemerkbar, der Schlussapplaus ist insgesamt recht kurz.

Christian Schütte



Fotos: Brinkhoff/Mögenburg