Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

FLAVIUS BERTARIDUS
(Georg Philipp Telemann)
23. Oktober 2011
(Premiere)

Staatsoper Hamburg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Leben und leben lassen

Georg Philipp Telemann war eine der, wenn nicht die zentrale Figur des Hamburger Opernlebens zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Es scheint vor diesem Hintergrund beinahe unverständlich, warum erst jetzt, im Jahr des 333. Geburtstages der Hamburger Oper, nach ewig langer Abstinenz wieder an den Komponisten und seine herausragende Bedeutung für die Hansestadt, aber auch für die Entwicklung der Oper zu seiner Zeit, erinnert wird. Flavius Bertaridus, König der Langobarden kam 1729 in der Gänsemarktoper zur Uraufführung und gilt als Telemanns einzige Opera seria. So kompliziert die Geschichte auf dem Papier klingen mag, so einfach ist sie in ihrer Grundkonstellation. Der gewaltsame Machtmensch Grimoaldus hat Flavius Bertaridus vom langobardischen Thron vertrieben, seine Frau Rodelinda und seinen Sohn Cunibert gefangengenommen, seine Schwester Flavia geheiratet und mit ihr einen Sohn, Regimbert, bekommen. Nach Jahren im Exil möchte Flavius in seine Heimat zurück, um wenigstens dort begraben zu sein. Seine Schwester Flavia will ihm dabei helfen, seine Frau und sein Sohn konnten fliehen, sie begegnen Flavius wieder. Auf Flavias Vermittlung landen sowohl Flavius als auch Rodelinda und Cunibert am Hofe Grimoaldus'. Nach allerlei Intrigen und Verstrickungen schließlich gelingt es, Grimoaldus zu ermorden und Flavius als rechtmäßigen Herrscher zu rehabilitieren. Es ist eine hochpolitische Geschichte, die die menschlichen und sozialen Konflikte gleichwohl ebenso in den Mittelpunkt stellt. Es geht um einen maßlosen. lustgetriebenen Gewaltherrscher – Grimoaldus – und den Vernunftmenschen Flavius. Auch da stehen Anschauungen und gesellschaftliche Prinzipien einander gegenüber, vor allem aber werden Menschen mit ihren Stärken und Schwächen, Höhen und Tiefen gezeigt.

Das arbeitet Regisseur Jens-Daniel Herzog sehr klar und nachvollziehbar heraus. Von seinem Ausstatter Mathis Neidhardt hat er einen Raum aus schlichten, auf mehreren Ebenen verschiebbaren Wänden bauen lassen, der äußerst variabel und funktional ist, kammerspielartige Intimität und Weite des nach hinten geöffneten Raums gleichermaßen zulässt. Zeitliche Bezüge von Raum und Kostümen ließen sich zwar grob bestimmen, spielen letztlich aber keine Rolle. Grimoaldus ist deutlich der herrschende Tyrann, als prachtvoller Machthaber trügerisch mit üppiger Uniform geschmückt, seine Gattin die distinguierte Ehefrau. Bei allen, die nicht mehr – oder vielmehr noch nicht wieder – an der Macht sind, beherrschen öde und graue Farben die Kostüme. Herzog spielt, bei allem stark herausgearbeitetem politischem Rahmen, die inneren Konflikte der Personen, ihre menschlichen Seiten – auch der an sich unsympathischen Figuren – durch differenzierte Personenregie so präzise heraus, dass auch die langen Phasen, in denen eine handlungsarme Arie der anderen folgt, nicht lang werden. Auf allen Ebenen ist die Geschichte gut nachvollziehbar, dabei erzählt Herzog keineswegs ausschließlich und dicht am Text entlang. Wenn etwa am Ende der Vernunftherrscher über den Lustherrscher siegt, darf Grimoaldus – der ja eigentlich tot ist – umgarnt von seinen leicht bekleideten Unterhaltungsdamen, die schon am Anfang auftraten, noch einmal auf die Bühne kommen. Das steht so natürlich nicht im Libretto. Die Geste aber zeigt, dass der Regisseur den Protagonisten trotz aller öffentlichen Verantwortung, trotz ihrer damit begangenen Fehler ihr Leben lässt – Hauptsache, der Staat ist am Ende wieder in Ordnung.

Wie farbenfroh, nuancenreich und differenziert Telemann komponieren konnte, bringt Allesandro De Marchi eindrucksvoll zur Geltung. Der italienische Dirigent unterstrich mit einem in jeder Sekunde präzisen, mit der Bühne atmendem und alle Facetten der Partitur detailliert nachzeichnendem Dirigat seinen Ruf als ausgewiesener Spezialist für die Musik des frühen 18. Jahrhunderts. Das um zeittypische Instrumente wie Gamben, Theorben, Blockflöten ergänzte Philharmonische Staatsorchester findet an Telemann hörbar großen Gefallen und spielt intonationssicher, mit federnder Leichtigkeit und Freude an den Gegensätzen der Partitur.

Das Libretto, wie bei Telemann üblich, aus verschiedenen Sprachen bestehend und damit die aktuellen Opernstile verknüpfend, wäre an manchen Stellen, sowohl in den deutschen wie auch in den italienischen Passagen, etwas deutlicher zu hören sicher eine Hilfe gewesen. Immerhin gibt es dafür Übertitel. Sonst ist dem Ensemble überwiegend uneingeschränktes Lob auszusprechen. Maite Beaumont gibt mit flexiblem, koloraturgeschultem und schlankem Mezzo der Titelfigur stimmliches Gewicht. Nicht weniger eindrucksvoll gelingt Ann-Beth Solvangs Flavia. Sie erreicht zwar hinsichtlich der Textverständlichkeit noch nicht durchgängig die notwendige Klarheit und wirkt gerade am Beginn mitunter noch etwas steif in den Koloraturen. Im Lauf des Abends findet sie mit ihrer gut fokussierten und zu vielen farblichen Schattierungen fähigen Stimme zu einer großen Leistung und beeindruckt gleichermaßen als Darstellerin. Die klaren, leuchtenden Soprantöne von Tatjana Lisnic als Rodelinda und Katerina Tretyakova als Cunibert bleiben ebenso im Gedächtnis wie der glockenhelle Sopran der jungen Melissa Petit in der Doppelrolle als Regimbert und lombardischer Schutzgeist. Der Countertenor David DQ Lee gewinnt stimmlich im Lauf des Abends zunehmend an Form und verkörpert Flavius‘ Vertrauten Onulfus ebenso glaubhaft wie Jürgen Sacher den Orontes. Stimmlich passt sein Tenor zwar nicht unbedingt ideal zu diesem Repertoire, doch auch ihm gelingt über den Abend hinweg eine wachsende vokale Profilierung seiner Rolle. Als Darsteller kann Antonio Abete als Grimoaldus zwar für sich einnehmen, fällt stimmlich gleichwohl mit seinem unflexiblen, belegt und rauh klingenden Bass vom übrigen Ensemble ab.

Der Staatsopernchor schließlich reiht sich, einstudiert von Florian Csizmadia, in die insgesamt hochrangige musikalische Leistung ein.

Am Ende gab es den meisten Jubel verdient für Alessandro De Marchi und seine Musiker. Mit sehr differenziertem, für Maite Beaumont zu recht sehr begeistertem Beifall zeigt das Publikum, wie aufmerksam es dem Abend folgt. Kräftige Buhrufe für das Regieteam stehen neben nicht minder zustimmenden Reaktionen. Gespalten hat der Abend das Publikum aber nicht, die Freude an und beglückte Aufnahme dieser so völlig in Vergessenheit geratenen Musik überwiegt in aller Deutlichkeit.

Christian Schütte

Siehe dazu auch die Besprechung des Flavius Bertaridus in Innsbruck.






 
Fotos: Jörg Landsberg