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Fakten zur Aufführung 

ALCINA
(Georg Friedrich Händel)
1. Juni 2012
(Premiere)

Oper Halle

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Südseeromantik ohne Tiefgang

Schade, es hätte ein interessanter Opernabend in Halle werden können, denn die Ansätze für eine moderne und nachhaltige Interpretation dieses dramma per musica von Georg Friedrich Händel sind im Libretto und in der Musik vorhanden. Das Drama auf einer Insel der Liebe inszeniert der  polnische Regisseur Andrej Woron für die Händel-Festspiele in Halle als Liebesabenteuer mit Südseeromantik in einer zweiaktigen Spielfassung. Woron, der gleichzeitig auch die Bühne und die Kostüme entworfen hat, ist von Haus aus Maler und erzählt daher seine Stücke in Bildern. Doch die ihm sonst so eigene eindringliche Ästhetik von bizarren, melancholisch-romantischen und teilweise grellen Bildertableaus weckt keine nachhaltigen Emotionen, sondern enttäuscht durch banale Oberflächlichkeit. Der Konflikt um Liebe und Treue und die Dreiecksbeziehung zwischen Alcina, Ruggiero und Bradamante wird nur im Ansatz ausgelebt. Hier sind dem Regisseur optische Gags wichtiger als eine tiefgründige Auslotung der Gefühlsebene. Lacher des Abends sind ein großer aufblasbarer Haifisch und ein ebenso großer Korallenfisch á la Nemo, die ferngesteuert hoch über die Bühne bis zum Publikum ihre Kreise drehen. Schade nur, dass dabei die Aufmerksamkeit für die intime und wunderschön gesungene Arie der Morgana völlig verloren geht. Dafür müssen die Akteure sich oft auf der Bühne umziehen, auch hier scheint die Effekthascherei mehr im Vordergrund zu stehen. Der Aspekt von Missionierung wird ebenfalls nur angedeutet, aber nicht konsequent weiter geführt.

Priesterkleidung, Kreuz und Bibel bei Melisso stehen im Konflikt zu Voodoo-Ritus und einheimischen Fruchtbarkeitstänzen, die den Zwischenruf „peinlich“ aus dem Publikum provozieren. Martin Stiefermann ist für die Choreografie verantwortlich und assistiert Andrej Woron bei der Regie.

Auch die Bühne ist kein großer Wurf. Ein paar Elemente wie Palmen und ein Wasserbecken auf der Bühne reichen nicht aus, um den Zauber von Alcinas Liebesinsel zu transportieren. Bei den Kostümen verhält es sich ähnlich. Auf der einen Seite farbenfrohe Phantasiekostüme für Alcina und die Bewohner ihrer Insel und moderne Kleidung für Bradamante und Melisso, dagegen Ruggiero in kitschigem Hawaii-Outfit für Touristen, was nicht in Alcinas Phantasiewelt passt. Ein schlüssiges Konzept ist nicht erkennbar.

Dafür gelingt die musikalische Umsetzung an diesem Abend umso besser. Sopranistin Romelia Lichtenstein verkörpert die Alcina. Ihr gelingt der Wechsel zwischen dramatischen Koloraturausbrüchen und ergreifendem Ausdruck. Innig gesungen ihre Liebeserklärung an Ruggiero. Der junge Schweizer Countertenor Terry Wey gibt mit der Partie des Ruggiero ein beachtliches Debüt bei den Händel-Festspielen. Er meistert alle Koloraturklippen, und mit Stimmkraft und Klangschönheit schwankt er als Ruggiero zwischen Alcina und Bradamante hin und her. Gut gelingt ihm am Schluss die Darstellung des Liebhabers Alcinas zwischen Lust und Überdruss.

Ines Lex als Alcinas Schwester Morgana, die sich in die als Mann verkleidete Bradamante verliebt und dafür ihren Geliebten Oronte verlässt, führt ihren glockenhellen Sopran stilsicher und klangvoll. Souverän auch die Rollenanlage der Bradamante durch Bettina Ranch. Sicher in der Intonation und mit einem tiefdunklen Mezzo-Timbre führt sie ihre Stimme durch Arien und Koloraturen. Der Tenor Andreas Karasiak hat sich auf Barockmusik spezialisiert, und seine Darstellung als Oronte ist auf hohem Niveau. Ki-Hyun Park als Melisso mit markantem Bariton und Jeffrey Kims leicht geführter Countertenor als Oberto komplettieren ein überzeugendes Solistenensemble, das von einem engagiert agierenden Chor in der Einstudierung von Tobias Horschke umgeben wird.

Bernhard Fock führt das Händelfestspielorchester Halle auf historischen Instrumenten sicher durch die Partitur, nur manchmal erscheint der Klang einförmig, es fehlt etwas Flexibilität und Farbenreichtum in der musikalischen Umsetzung.

Am Schluss ist sich das Publikum in seiner Würdigung der Leistungen von Sänger, Orchester und Dirigenten einig. Großer Jubel für das gesamte Ensemble. Beim Regieteam spaltet sich das Publikum. Neben vielen Buhs aber auch Bravo-Rufe, die sich in etwa die Waage halten. Als Kammersänger Axel Köhler, Intendant der Oper Halle, auf die Bühne kommt und um Gehör bittet, ruft es laut vernehmlich aus dem Zuschauerraum, dass es besser gewesen wäre, er hätte inszeniert, dann wäre was Vernünftiges dabei rausgekommen.

Auch diesen Zwischenruf kommentiert das Publikum mit Buhs und Bravo. Doch Köhler möchte nur Halles Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados ankündigen, die einer völlig überraschten und gerührten Romelia Lichtenstein den Titel Kammersängerin verleiht. Und jetzt ist sich das Publikum endgültig einig. Stehende Ovationen für Romelia Lichtenstein, ein besonderer emotionaler Höhepunkt an einem ansonsten banalen Opernabend.

Andreas H. Hölscher

 



Fotos: Gert Kiermeyer