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Fakten zur Aufführung 

DER WILDSCHÜTZ
(Albert Lortzing)
22. März 2013
(Premiere am 8. März 2013)

Theater Hagen


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Rehbock süß-sauer

Die Auswirkungen der großen Grippewelle sind noch in Nordrhein-Westfalen zu spüren. Das Theater Hagen hat es besonders hart getroffen, als die Premiere von Lortzings Wildschütz verschoben werden musste. Zu groß waren die krankheitsbedingten Ausfälle während der Endproben. Auch bei der zweiten Vorstellung scheint dieser Schaden noch nicht ganz behoben zu sein. Trotz großen Potenzials läuft die Komödie um den Schulmeister Baculus, der vermeintlich einen Rehbock im Wald des Grafen geschossen hat und dafür suspendiert werden soll, vor allem musikalisch noch nicht ganz rund. Szenisch präsentiert sich dieser Wildschütz schon recht temporeich. Annette Wolf findet auch im Heute einen guten Ansatzpunkt, um die gesellschaftskritische Komödie mit viel Humor auf die Bühne zu bringen. Die putzige Gesellschaft, die der Hochzeit vom alten Baculus und jungem Gretchen beiwohnt, sieht recht süß aus – auch dank der herrlich unterschiedlichen Kostüme von Lena Brexendorff. Ihr Bühnenbild strotzt ebenso nur so von Einfällen. Eine Einheitskulisse mit zwei Spielebenen und vielen Türen auf der Drehbühne ist im ersten Akt noch die Fassade der Kneipe mit dem passenden Namen Zur Stimme der Natur. Auf dem Flachbildschirm flimmern Bilder von einem Dortmund-Spiel und dem Glücksrad. Für den zweiten Akt sieht man die Kulisse von der anderen Seite als gräfliches Schloss mit vier griechischen Statuen. Denen merkt man auf den ersten Blick nicht mal an, dass sie lebendig sind und für einigen Spaß sorgen werden. Im letzten Akt dreht sich der Innenhof wieder nach vorne. Mit den riesigen Blumen kommt man sich vor wie im Film Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft. Der graue, kahle Bergrücken im Hintergrund gibt dem lieblichen, vordergründigen Charme eine gewisse Doppelbödigkeit, den man in der Personenregie gerne noch mehr gesehen hätte.

Annette Wolfs Personenführung ist immerhin frech, hat aber den deutlichen Fokus auf Momente des Slapsticks. Der ist glücklicherweise auch so gut inszeniert, dass er nie zu albern aussieht, und man kann herrlich darüber lachen, wenn Baculus über das Sofa fällt, erst gegen eine Tür und dann gegen eine Säule läuft und so weiter. Bittersüß wird es, wenn die Baronin, das falsche Gretchen, den völlig gebannten Hochzeitsgästen 3D-Brillen aufsetzt: Schneewittchen und die sieben Zwerge hoppeln jetzt über die eingeräucherte Bühne, und die Baronin singt Auf dem Lande ist’s so schön. Die fast degenerierten Dorfbewohner und das freche Adelsvolk sprechen da eine ganz andere, säuerliche Sprache. Wenn sich die Geschwisterpaare am Ende erkennen beziehungsweise zu erkennen geben und ihren fast inzestuösen Irrtum eingestehen, macht sich betretende Stille auf der Bühne breit.

Eine durchaus sehenswerte, temporeiche und daher nie langweilige Inszenierung, die noch etwas mehr Unterstützung durch die Musik gebraucht hätte. Doch hier merkt man am deutlichsten, dass das Zusammenspiel noch etwas mehr Probenzeit gebraucht hätte. Es ist keine Ausnahme, wenn sich instrumentale und vokale Achtelnoten nicht übereinander legen, sondern immer leicht versetzt nebeneinander her plappern. Das Philharmonische Orchester Hagen legt immerhin eine sehr schöne Ouvertüre hin, doch Dirigent Florian Ludwig setzt auf Sicherheit, und das bedeutet vor allem moderate Tempi, die den Spaß szenisch wie musikalisch immer ein bisschen bremsen. Vielleicht ist es auch einfach nur eine nicht ganz optimale Abendverfassung. Die ist nämlich auch besonders beim völlig unsicher singenden Chor zu bemerken. Szenisch blühen die Sänger so richtig auf, aber Intonation und Präzision lassen an diesem Abend zu wünschen übrig. Dass ist man von Wolfgang Müller-Salows Klangkörper sonst anders gewohnt. Hinzu kommt eine Stimme im Sopran, die sich mit penetrantem und schrillem Tremolo ständig nach vorne drängelt, wo von ihrer Seite Zurückhaltung angesagt wäre. Da muss der Chordirektor dringend einschreiten. Der Kinder- und Jugendchor des Theaters ist in seinem kurzen Auftritt großartig.

Auch solistisch wird nicht jeder Wunsch erfüllt, manche Stimme agiert noch recht vorsichtig, um das grippegeschädigte Organ zu schonen. Völlig unbefangen singt und spielt Rainer Zaun den Baculus mit einem Spielbass im besten Sinne. Das ein pralles, vokales Vergnügen und die stärkste Leistung des Abends, über die man herzlich lachen kann. Raymond Ayers ist als Graf ein arroganter Schnösel, der sich mit starkem Bariton profiliert. Als seine Schwester Baronin von Freimann lässt Jaclyn Bermudez einen schön-schlanken Sopran hören, den sie in den Ensembles gerne hochschraubt. Jeffery Krueger bekommt als Baron Krontal seine Arie im zweiten Akt gestrichen. Der junge Tenor kann auch ohne sie überzeugen, doch wünscht man der Stimme etwas mehr Glanz und Höhensicherheit. Marilyn Bennett ist eine solide Gräfin, während Maria Klier als echtes Gretchen vor allem szenisch überzeugt. Allerdings ist ihr Sopran zu wenig durchgebildet. Die Tiefe klingt dumpf, die Höhe zuweilen spitz. Anja Frank-Engelhaupt sekundiert erfolgreich als Nanette. Werner Hahn spielt großartig den Haushofmeister Pankratius, der mit stoischer Haltung einige Unglücke am Hof verhindert.

Nicht nur die Sänger verpassen manchen Einsatz. Das Hagener Publikum lacht zwar gerne, ist aber ansonsten klatschfaul. Schon vor der Ouvertüre wird der obligatorische Begrüßungsapplaus für den Dirigenten nach einem zaghaften Versuch abgebrochen. Nach der Vorstellung erhält eigentlich nur Publikumsliebling Rainer Zaun den angemessenen Applaus, der insgesamt höchstens fünf Minuten anhält. Der Beifall ist allenfalls als mäßig zu bezeichnen.

Bis zur dritten Vorstellung Mitte April hat das Theater Hagen jetzt Zeit, um noch nachzubessern und vor allem musikalisch dem Ganzen mehr Sicherheit zu geben. Gute Anlagen sind in jeder Hinsicht vorhanden, und daher hat dieser Wildschütz das Zeug, voll ins Schwarze zu treffen.

Christoph Broermann

Fotos: Stefan Kühle