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Fakten zur Aufführung 

SUSANNAH
(Carlisle Floyd)
17. April 2012
(Premiere am 17. März 2012)

Theater Hagen

Points of Honor                      

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Nach der Aufführung

Jaclyn Bermudez ist seit vergangenem Jahr im Ensemble des Theaters Hagen und begeistert dort das Publikum. Hier erzählt sie über ihren Werdegang und ihre Susannah (4'55).

 

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Bigotterie in der Kleinstadt

Das Theater Hagen hat einen neuen Star. Jaclyn Bermudez rockt die Stadt ausgerechnet mit einer Oper, die zu den ungeliebtesten in Deutschland zu gehören scheint. Jan Henric Bogen, Dramaturg des Hauses, erzählt, dass die 1955 in Florida uraufgeführte Oper erst vier Mal in Deutschland inszeniert wurde. Mit der Hagener Inszenierung hat Roman Hovenbitzer ein Signal gesetzt. Und der Besucher weiß nach der Aufführung garantiert nicht, ob es an der Inszenierung oder an der Bermudez liegt.

Jan Bammes schafft eine eindrucksvolle Bühne. Ein Holzboden, der an Europaletten erinnert, darauf eine Bretterwand, die im Laufe wechselnder Bilder immer wieder ihre Position verändert, und über allem ein Banner, von dem je nach Sitzposition leider immer nur Teile zu erkennen sind. Die Akteure tragen die jeweils benötigten Requisiten jeweils zum Bild passend auf die Bühne. So werden dem Zuschauer überflüssige Umbaupausen erspart. Klischeehaft kleidet Bammes die Akteure ein und verstärkt damit das Bild eines amerikanischen Dorfes im puritanisch geprägten Tennessee. Dieser Eindruck entsteht zumindest, wenn man oft genug gehört hat, dass es sich ja um eine typisch amerikanische Oper handelt. Wer die Szenerie mit unverstelltem Blick betrachtet, erkennt, insbesondere im Fortgang der Handlung, immer weniger, dass es sich hier um eine „typisch amerikanische“ Umgebung handelt, sondern fühlt sich mehr und mehr in ein beliebiges Dorf in der Eifel, im Sauerland, im Thüringer Wald, ja, in eine deutsche Kleinstadt versetzt.

Seit wann gehörte die Angst vor dem anderen, dem Unbekannten, nur nach Amerika? Damit haben wir Deutschen ja unsere ganz eigenen Erfahrungen. Eben darin mag die Inszenierungskunst Hovenbitzers liegen: Wenn der Pfaffe sich am Ende für schuldig befindet, werden manch einem aus dem Publikum Namen von Personen eingefallen sein, die er gerade jetzt in der Rolle des amerikanischen Predigers sieht. Mit dem Schild vor der Brust: Schuldig. Unklar bleibt, ob der Regisseur dieses Schild vor deutschem oder amerikanischem Hintergrund einsetzt. Jedenfalls kennen wir in Deutschland solche vor der Brust getragenen Pappen nur allzu gut. Wir wollen so was nicht mehr, nie mehr. Und erfahren damit die Handlung auf der Bühne umso intensiver, beklemmender. Ulrich Schneider unterstreicht die Abstrusitäten mit dramatischem Licht und setzt die Effekte auf den Punkt.

Sind wir ehrlich, ist all das höchstens nettes Beiwerk. Diese Inszenierung ist eine Liebeserklärung  an Jaclyn Bermudez, und sie bedankt sich angemessen. Sie spielt die Susannah, bei aller Vorsicht vor Superlativen: atemberaubend. Von der heiteren Unbeschwertheit der jungen Frau bis zur Tragödie der Geschändeten lässt sie das Publikum kaum Luft holen, packt mit fein nuanciertem Spiel. Es ist ihr Abend. Wie jeder der Abende zuvor. Ihre Stimme ist ausgereift, sie kann sich ganz auf die psychologische Entwicklung der Figur konzentrieren und nutzt das in allen Facetten. Was ihr in dieser Überzeugungskraft natürlich nur gelingt, weil sie hervorragende Mitspieler zur Seite hat. Charles Reid singt und spielt den Bruder Sam Polk angemessen – und das ist ein Kompliment. Schließlich hat er den Part des Alkoholikers, und da neigen andere schon mal zur Übertreibung. Rainer Zaun muss auf eine Rolle wie die des Predigers Olin Blitch lange gewartet haben. Sonst würde er ihn kaum so überzeugend auf die Bühne bringen. Herrlich entlarvend die Szene, in der er die Gelder für seine Predigt eintreibt. Wunderbar, wie er sich von der Selbstherrlichkeit in die Selbstkasteiung treibt. Dass die Szene, in der er Susannah „entweiht“, in typisch deutscher Opernmanier oder typisch amerikanischer Prüderie über die Bühne bringt, obwohl doch gerade hier die Chance gelegen hätte, dem Stück das eigentlich skandalöse zu verleihen, wäre Hovenbitzers Aufgabe gewesen. Stattdessen konzentriert der sich darauf, Jeffery Krueger zur absolut möglichen Darstellung des behinderten Freundes von Susannah zu treiben. Zutiefst glaubwürdig in Stimme und Verkörperung gibt Krueger den Little Bat MacLean, der Susannah liebt, sie aber nie über ein geschwisterliches Verhältnis hinaus erreichen wird. Überhaupt, sie lieben ja alle Susannah, bis auf die Damen, die sich in das Dorfleben und ihre schmale Existenz eingestellt haben. Marilyn Bennett, Dagmar Hesse, Tanja Schun und Rena Kleifeld verkörpern genau die Frauen deutscher, ach nein, amerikanischer Provinz, wie wir sie tausendfach kennen. Da, wo es keine Susannah gibt, diskutieren sie über Arztbesuche, Sterbefälle und im besten Fall Geburten. Hier gibt es eine Susannah, und da werden sie bösartig, gehässig, hinterhältig und entsetzt. Bis in die letzte Faser glaubhaft dargestellt.

Wäre doch nur die Musik annähernd so überzeugend wie das Personal auf der Bühne. Jongbae Lee hat die, zugegebenermaßen schwierige Akustik des Theaters nicht annähernd im Griff. Die Musik Floyds, die in vielen Teilen an amerikanische Filmmusik erinnert, wird ebenso schwunghaft durchgespielt – ohne Rücksicht auf die SängerInnen. Permanent dröhnt es. Da haben die Akteure auf der Bühne nur die Chance auf die von der Partitur vorgegebenen ruhigeren Stellen, um Gehör zu finden. Immerhin Chor und Extrachor in der Einstudierung von Wolfgang Müller-Salow können sich dieser Herausforderung stellen. Letztlich ist aber die Ignoranz des Dirigenten gegenüber dem Ort ärgerlich. Verlangt doch die Musik von Carlisle Floyd wirklich nicht, dass man sie gegen die Bühne aufbranden lässt.

Das Publikum würdigt die Leistungen des Abends angemessen, ohne allzu sehr zu übertreiben. Bermudez aber hat sich mit ihrer Susannah eindeutig für höhere Aufgaben empfohlen.

Michael S. Zerban







Fotos: Foto Kühle