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Fakten zur Aufführung 

LOLA RENNT
(Ludger Vollmer)
8. März 2014
(Premiere)

Theater Hagen

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

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Zeit erstirbt in Ewigkeit

Franka Potente musste in der Saison 1998/99 ziemlich viel rennen, um Moritz Bleibtreu aus der Patsche zu helfen und den Film Lola rennt zum erfolgreichsten deutschen Kinofilm jener Saison zu machen. Gute zehn Jahre später, Ludger Vollmer feierte gerade einen Riesenerfolg mit Border in Köln, winkte ihm ein Kompositionsauftrag in Regensburg. „Intendant Jens Neundorff von Enzberg wollte zur Eröffnung seiner ersten Saison etwas ‚Neues‘ bringen“, erinnert Vollmer sich. Am 28. Februar 2013 fand die Uraufführung von Lola rennt als Oper im Theater am Bismarckplatz in Regensburg statt. Intendant Norbert Hilchenbach holt das Stück nach Hagen auf die Bühne und lässt Roman Hovenbitzer inszenieren.

Klar ist, dass eine Nacherzählung des Films nicht funktioniert. Schnelle Schnitte, Zoom und schnelle Ortswechsel sind auf der Bühne kaum möglich. Also geht es darum, die Geschichte aus dem Film zu extrahieren und eine neue Ästhetik, eine andere Erzählweise zu finden. Vollmer und seiner Librettistin Bettina Erasmy gelingt das. Der Komponist schafft ein dicht gewebtes Klangbild, das kaum eine Stilvariation auslässt. Von der Dissonanz bis zur Melodie, vom lyrischen Augenblick bis zum allzu intensiven Schlagwerk-Einsatz bietet die Musik ein „Kraftwerk der Gefühle“, wie es Vollmer ausdrückt. Erasmy konzentriert sich in ihrem ersten Libretto auf die Einfachheit der Texte und Redundanz. Das führt in der Inszenierung zu einem fatalen Fehler. Hovenbitzer vertraut auf die Verständlichkeit der Texte – und verzichtet auf Übertitel. Extreme Klangmodulationen können aber nicht verständlich klingen. Expressiver Gesang muss auf Deutlichkeit verzichten. Und damit steigt das Publikum in der ersten der drei Runden, die die Oper bietet, aus. Bleibt die künstlerische Ästhetik.

Jan Bammes ist für Bühnenbild und Kostüme verantwortlich. Er stellt eine Spirale in den Mittelpunkt des Bühnenraums. Seitlich sind Stühle für den Chor platziert, auf denen dieser zwischenzeitlich Platz nehmen kann. Im Hintergrund schließt eine Leinwand die Bühne scheinbar ab, die Projektionsfläche für Videos bietet. Erst kurz vor Schluss wird deutlich, dass hinter dieser Leinwand das Orchester sitzt. Die scheinbare Abstinenz des Orchesters während der Aufführung führt nicht nur zu – gewollter? – Irritation, sondern auch zu ungewöhnlichen und überzeugenden Klangeffekten. Vor allem aber entsteht eine wunderbare Balance zwischen Stimmen und Instrumenten. Dass die Arbeit von Dirigent David Marlow damit im Verborgenen bleibt, kann man bei einer solch überzeugenden Leistung des Philharmonischen Orchesters Hagen verschmerzen.

Im Verborgenen bleibt auch die eigentliche Handlung. Klar ist der Rahmen. Manni hat 100.000 in einer Plastiktüte in der Bahn stehenlassen, weil Polizisten zugestiegen sind. Ein Obdachloser findet die Tüte und nimmt sie an sich. Zwanzig Minuten hat Manni Zeit, das Geld aufzutreiben und an einen Gangsterboss zu übergeben. In seiner Not ruft er Lola an. Und die rennt los, um das Geld zusammen zu bringen. Drei Mal. Ihr Vater, der Banker mit der Geliebten, spielt ebenso eine Rolle wie ein Wachmann und Volkes Stimme. Zahlreiche Projektionen zeugen von nicht zu Ende gedachter Wirkung und bleiben damit beliebig. Möglicherweise ist der Rest auch wirklich uninteressant, wenn man sich nur auf die Wirkung der Oper einlässt.

Am Anfang aller Handlung sitzt Herr Zeit, dargestellt von Richard van Gemert, ein Edelclownskostüm, das mit einer Menge Konfetti und Hinweisen, wohin der Zuschauer blicken möge, mal als Erzähler, mal als wie auch immer Handelnder durch den Abend führt. Kristine Larissa Funkhauser lässt sich als indisponiert ankündigen, in ihrer Rolle als Lola aber nichts davon anmerken. Ihr Sopran klingt ungetrübt und in jeder Phase den Anforderungen der zeitgenössischen Musik Vollmers überlegen. Ihre Laufleistung ist schon ohne grippalen Infekt beeindruckend. Raymond Ayers spielt ihr als Manni gekonnt zu. Den Vater spielt Ulrich Schneider als Börsenmanager, der von einem glücklichen Familienleben träumt, aber keine Zeit und Konzentration dafür findet. Gesanglich bleibt ein näselndes „Was?“ in Erinnerung. Maria Klier hat als seine Geliebte Jutta in erster Linie die Aufgabe, die reinen Höhen ihres Soprans zu präsentieren und sich an den Vater im Wortsinne ranzuschmeißen. Michail Milanov lässt als Obdachloser einen herrlich runden Bass erklingen. Den schönsten Moment der Oper, ein lyrisches Durchatmen, hat Rolf Scheider als Wachmann, wenn er als Wachmann den Tanz auf dem Vulkan haarfein nuanciert. Allein für diesen Augenblick lohnt der Besuch der Oper.

Eindrucksvoll die Leistung des Chores in der Einstudierung von Wolfgang Müller-Salow. Hovenbitzer bewegt den Chor mit Bravour über die Bühne, Bammes mutet den Sängerinnen und Sängern zusätzlich etliche Kostümvariationen zu. Heraus kommen dabei wunderbare, abwechslungsreiche Bilder, die der Inszenierung die nötige Würze verleihen.

Das Publikum reagiert zunächst verhalten, steigert sich erst allmählich zu vereinzelten Bravo-Rufen, um sich ganz am Ende zu stehenden Ovationen zu erheben. Die Meinungen im Publikum sind ambivalent. Vielleicht muss man diese Aufführung ein zweites Mal besuchen – mit dem Libretto in der Hand.

Michael S. Zerban







Fotos: Klaus Lefebvre