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Fakten zur Aufführung 

DIE FLEDERMAUS
(Johann Strauss)
3. Sepember 2011
(Premiere)

Theater Hagen


Points of Honor                      

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Champagnermusik im Mief der Nachkriegszeit

Thomas Weber-Schallauer hat eine eigene Textfassung geschrieben, nach der er die Fledermaus in Hagen inszeniert hat. Hätte er es mal besser gelassen. Er verortet die Handlung in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Sandra Linde, für die Ausstattung zuständig, schafft Requisiten wie Zigarettenigel und Dreibeintisch heran, steckt die Akteure zunächst in piefige 50-er-Jahre-Klamotten, ehe sie später in einem bunten Mix aus Cabaret-Kostümen, Fantasie-Kostümen und Fräcken erscheinen. Adele wippt im persiflagenhaften Kammermädchen-Kostüm, das das Höschen blitzen lässt, ehe sie in pinkfarbener Corsettage mit verruchtem Anstrich daherkommt. Die kleine Bühne wird erst einmal durch Schiebewände weiter verkleinert und schafft so bedrückende Enge. Im Haus des Prinzen Orlofsky kommt die Drehbühne zum Einsatz und im dritten Akt schließlich bestimmt ein stacheldrahtbewehrtes Stahlgerüst den Hintergrund, vor dem eine Holzhütte mit einem Schreibtisch davor verschiedenen, nicht immer durchschaubaren Einsätzen dient. Bis dahin mag man der Regie-Idee noch folgen. Wenn aber im zweiten und dritten Akt allmählich der Slapstick Überhand gewinnt, wenn dem Gerichtsdiener Frosch nichts anderes mehr einfällt als „Führerverehrung“ und längst gehörte Witze über „Führer“ und österreichische Beamte, ja, wenn der Restalkoholgehalt des Gefängnisdirektors in übelster Comedy-Manier vorgeführt wird, dann mag man sich dem unreflektierten Gelächter des Publikums nicht mehr anschließen. So hat wohl Weber-Schallauer seine Idee konsequent umgesetzt. Dem Stück geht aber damit all das verloren, was Die Fledermaus ausmachen kann: Lebendiges Perlen wird durch die Enge erdrückt, überschäumendes Ballrauschen verliert sich im Kunterbunt der Cabaret-Darstellungen, plumpes Betatschen und Männer in karierten Boxerunterhosen ersetzen die Erotik, vor den Folgen des Saufgelages gerät die heitere Verwechslungsgeschichte vollends in den Hintergrund.

Als besonderes Highlight wird in die Ballszene noch eine Tanzeinlage integriert, in der das Ballett des Theater Hagens in der Choreographie von Andre Baeta einige Grundschritte zeigt. Wolfgang Müller-Salow präsentiert Opern- und Extrachor des Theaters präzise einstudiert und spielfreudig. Vor diesem Hintergrund erfreuen die Solisten. Dominik Wortig macht aus Gabriel von Eisenstein mit wohltemperierter Stimme und imposanter Erscheinung den von sich überzeugten Geschäftsmann, der sich keiner Schuld bewusst ist. Rosalinde wird von Stefanie Smits mit viel Spiel- und Bewegungsfreude dargestellt, sicher und selbstbewusst in allen Tonlagen. Sarah Längle singt die Partie der Adele mit ausdifferenzierten Koloraturen, verliert auch in der Höhe nicht an Deutlichkeit und spielt die ihr zugedachte Rolle mit großer Selbstverständlichkeit. Gesangslehrer Alfred, etwas steif, gefällt nicht nur, aber vor allem in den Duetten, wenn er seiner Partnerin ausreichend Raum lässt, ohne selbst unverständlich zu werden. Richard van Gemert stottert als Advokat Blind vor sich hin, wie es seiner Rolle entspricht, und bekommt auch die Witze auf den Punkt hin, die aus dem Stottern resultieren (aber bitte, ist das witzig?). Ein wenig blass bleibt Anja Frank-Engelhaupt als Adeles Schwester Ida in der Stimme, überzogen ihr „Gewehrauftritt“ gegen Ende. Der wunderbare Bariton von Rainer Zaun als Gefängnisdirektor verleiht der Rolle die nötige Autorität, seine Spielweise erhält die Doppeldeutigkeit der Person. Verschmitzt-andeutungsreich gibt Frank Dolphin Wong den Dr. Falke, ehe er in der Schlussszene die Souveränität des Gewinners genießt. Seltsam ambivalent gestaltet Kristine Larissa Funkhauser den Prinzen Orlofsky – zwischen Männlein und Weiblein wechselnd, darf sie kurz mit ihrer einwandfrei gesungenen Partie in den Vordergrund, wird ansonsten von zwei „Krankenschwestern“ im Hintergrund betreut. Bleibt der Frosch in seiner unglücklichen Rolle als engster Slibowitz-Freund, früherer Blockwart, österreichischer Beamter und „Führer“-Verehrer: Werner Hahn spielt ihn boulevardesk, und das gefällt dem Publikum.

Eindrucksvoll dirigiert Bernhard Steiner das Philharmonische Orchester Hagen mit vollem Körpereinsatz und großer Geste. Temporeich mit pointierten Einsätzen, dafür ohne große Finesse, aber das passt zum Drehbuch.

Kalauer und Slapstick-Einlagen, da fühlt sich das Publikum eingeladen, das Geschehen auch gleich zu kommentieren – gerne auch lautstark. Schließlich ist man in einer lustigen Operette und nicht in einer Opernaufführung. Nach drei Stunden macht sich Erschöpfung breit, da fällt der Applaus ein wenig mäßig aus. Verwirrung entsteht, als die meisten Gäste gehen wollen und die Darsteller sich auf der Bühne immer noch verbeugen. Ein letzter komischer Moment.

Michael S. Zerban






 
Fotos: Stefan Kühle