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Fakten zur Aufführung 

DAS FEUERWERK
(Paul Burkhard)
28. September 2013
(Premiere)

Theater Hagen


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Schlager-Zirkus mit Kultverdacht

Vati wird 60. Grund für eine Geburtstagsparty, zu der sein vor vielen Jahren abgetauchter Bruder erscheint, ohne eingeladen worden zu sein. Der ist inzwischen Zirkusdirektor und bringt seine Frau mit. Die „buckelige Verwandtschaft“ in Gestalt von drei Onkeln und Tanten sowie der Ehefrau von Vati sind alles andere als erfreut, den Abtrünnigen wiederzusehen. Tochter Anna hingegen wittert die Möglichkeit, aus dem bürgerlichen Mief auszubrechen und mit dem Zirkus die Welt kennenzulernen. Daran kann sie vorerst auch ihr Freund, der von der Familie unerwünschte Tulpenhändler, nicht hindern. Nach einem Ausflug in die zirzensische Welt und allerlei Irrungen und Wirrungen wird letztlich alles wieder gut.

Das Feuerwerk von Paul Burkhard gehört zu den eher selten gespielten Operetten, wohl auch, weil es extrem schwierig zu inszenieren ist, wenn es zünden soll. Regisseurin Nicola Glück und Bühnen- und Kostümbildnerin Pia Oertel haben sich in Hagen an das Stück gewagt – und damit einen Überraschungserfolg gelandet. Das Theater selbst traute wohl der Sache nicht so recht und hielt sich im Vorfeld mit der Werbung zurück. So bleiben am Premierenabend viele Plätze im Zuschauerraum frei. Auf der Bühne hingegen, so scheint es, ist jeder Zentimeter verplant. Die Handlung beginnt in einem bürgerlichen Wohnzimmer der 1960-er Jahre mit einem großen Esstisch und einer Sitzecke mit drei Sesseln und einem Dreieckstisch. Im Hintergrund eine Wand, die von einer Verandatür unterbrochen wird. Die Rückwand entpuppt sich als ein Gestell für Pendeltüren, mit deren Hilfe das Wohnzimmer später ohne Schwierigkeiten in eine Zirkusarena umgewandelt werden kann, wenn der Privatzirkus Johnny Casselly – im Stück als Zirkus Obolski – auftritt. Als Bekleidung wählt Oertel stilisierte, bisweilen leicht überzeichnete Kostüme aus derselben Zeit. Das ist alles bis ins Detail liebevoll gestaltet und stimmig. Wirkungsvoll hat Ulrich Schneider das ins rechte Licht gesetzt.

Bei dem Stück einen tieferen Sinn zu suchen, ist Unsinn. Deshalb haben Glück und Oertel das auch gar nicht erst versucht. Sie konzentrieren sich darauf, ein Stück zu inszenieren, bei dem der Zuschauer mit großen, staunenden Augen auf die bunte Theaterwelt schauen und sich vom Zauber der Unterhaltung einfangen lassen kann. Dass sie dabei mehrfach um Haaresbreite am Boulevardesken vorbeischrammen, ist in erster Linie Glücks präziser Personenführung zu verdanken, die auch dafür sorgt, dass Kitsch, Frivolitäten und Unglaubwürdigkeiten der Operette sich im Spiel eines wunderbaren Ensembles glaubhaft auflösen.

Die fantastisch gezeichneten Figuren verdienen allesamt einen Sonderapplaus – und den bekommen sie auch. An diesem Abend wird viel geklatscht im Theater Hagen. Allen voran spielt und singt sich Maria Klier als Tochter Anna in die Herzen der Zuschauer. Mit ihrem blonden Pferdeschwanz, dem Petticoat und den leichtfüßigen Schritten in Ballerinas, mit ihren akrobatischen Einlagen beispielsweise auf der Schaukel, während sie mit jugendlichem Sopran und Liebreiz die Story klar verständlich weiter voran treibt: das ist hitverdächtig. Ganz klar: Die Rolle ist für sie geschrieben. Auf die Klier wird man weiter schauen müssen. Übertroffen wird sie allenfalls um Nuancen vom Zirkusdirektor Rolf A. Scheider, der souverän baritonal seine Rolle vorträgt und auch gleich noch mal beweist, dass ihm auch das gesprochene Wort im Schauspiel nicht fremd ist. Kati, die Köchin, ist als derbkomische Rolle angelegt, was dem Unterhaltungswert geschuldet sein soll – vielleicht nicht unbedingt notwendig, möchte man dem Librettisten zurufen – aber glaubwürdig verkörpert von Kristine Larissa Funkhäuser. Iduna, Direktrice des Zirkus, wird sensibel durch alle Passagen von Ruth Ohlmann gesteuert. Dass sie sängerisch damit auch ihre Grenzen erreicht, ist in Ordnung. Schauspielerisch ist sie brillant. Weniger überzeugend ist Gärtner Robert. Benjamin Hoffmann singt einwandfrei, allein, es fehlt ihm an Ausstrahlung, was angesichts mangelnder Erfahrung auch nachvollziehbar ist. Onkel und Tanten ergänzen in wunderbarer Weise das Geschehen. Einen ganz besonderen Genuss bieten die Darstellungen des Zirkus Casselly. Insbesondere die Kontorsionistik-Darstellungen lassen einem das Herz stocken. Besondere Erwähnung muss auf jeden Fall auch Jack finden. Jack ist der Zirkushund. Und es ist einfach schön, ihm zuzusehen, wie er mit größter Freude an den kleinen Kunststücken teilnimmt, die ihm sein Herrchen beigebracht hat.

Kunststücke hat der musikalische Leiter Steffen Müller-Gabriel dem Philharmonischen Orchester Hagen nicht beigebracht. Und am Anfang hapert es auch ordentlich, bis sich alle „Solisten“ des Orchesters zusammengefunden haben. Der Dirigent ist mit der Organisation seines Orchesters ausgelastet, und so ist die Leistung der Sänger umso höher einzuschätzen, die sich fabelhaft an die Musik anschmiegen. Und die wunderbaren Lieder der Operette, allen voran den Hit O mein Papa, aber auch das Lied vom süßen Pony Johnny so herrlich eingängig präsentieren, dass jeder Staub vergangener Jahrzehnte abfällt. Letztlich finden auch auf musikalischer Ebene alle zusammen.

Am Ende ist ein großartiges Stück Musiktheater entstanden, das dem Publikum in erster Linie eines gebracht hat: Eine Unmenge Spaß. Und so erhebt es sich und applaudiert, bis es einer der Artisten aus dem Saal schickt.

Michael S. Zerban

Fotos: Stefan Kühle