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Fakten zur Aufführung 

DON QUICHOTTE
(Jules Massenet)
26. April 2014
(Premiere)

Theater Hagen

Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Wenn alte Männer zu sehr lieben

Während der 100. Todestag von Jules Massenet vor zwei Jahren weitgehend übersehen wurde, kann man sich über mangelndes Interesse an dem französischen Sensualisten derzeit nicht beklagen. Seine populärsten Erfolgsstücke, Manon und Werther, stehen gleich mehrfach auf den Spielplänen der Häuser und selbst ein so introvertiertes Spätwerk wie der Don Quichotte ist jetzt nach unterschiedlich gehaltvollen Produktionen in Wuppertal und Gelsenkirchen gleich zum dritten Mal zu sehen und zwar am Theater Hagen. Und das, obwohl Ohrwürmer und effektvolle Auftritte weit und breit nicht zu finden sind. Doch die liebevolle Reflexion über den „Ritter von der langen Gestalt“, in der Massenet zwei Jahre vor seinem Tod ein paar Einblicke in sein eigenes Seelenleben zulässt, wirkt so menschlich und sympathisch, dass sie einen gebührenden Platz im Repertoire unseres Opernalltags verdient. Indem Cervantes vielschichtiger Roman auf die ungleiche Beziehung zwischen der jungen Dulcinea und dem alternden Galan reduziert wird, sind Bezüge zu Verdis Falstaff nicht weit. Massenet geht zwar zurückhaltender mit selbstironischen Seitenhieben um, dreht aber nicht so weit auf wie der ebenfalls liebestolle Ochs in Richard Strauss‘ nur drei Jahre nach dem Don Quichotte entstandenen Rosenkavalier. Wenn hier Querbeziehungen gefunden werden wollen, dann eher in der Figur der Marschallin. Während die jedoch die Mesalliance in weiser Entsagung als „Farce und weiter nichts“ abhakt und überlebt, zerbricht der spanische Held an der Enttäuschung.

Die Musik klingt noch feiner und sensibler als in den bekannteren Meisterwerken Massenets, die selbst vor den hyperkritischen Ohren des ansonsten scharf gegen seine komponierenden Landsleute agitierenden Kollegen Debussy Gnade fand. Und da leistet Florian Ludwig eine Menge, um mit dem Philharmonischen Orchester Hagen die introvertierte Partitur recht leuchtkräftig zum Klingen zu bringen.

Natürlich steht und fällt das Werk mit der Besetzung der Titelfigur, die zum eisernen Bestand aller großen Bassisten von Schaljapin und Christoff bis zu Ghiaurov und van Dam zählt. Orlando Mason, ein zwei-Meter-Hüne von schmaler Gestalt, bietet körperlich ideale Voraussetzungen für die Rolle. Stimmlich fehlt es seinem Bass, vor allem in den Höhen, freilich an der nötigen Substanz. Gleichwohl kann er mit seiner sympathischen Ausstrahlung dieses Manko teilweise, wenn auch wirklich nur teilweise, überdecken.

Rainer Zaun als Sancho Pansa schlägt robuste, geradezu raue Töne an und Kristine Larissa Funkhauser bewältigt die Partie der Dulcinea zwar ohne Fehl und Tadel, allerdings auch ohne besondere sinnliche Ausstrahlung. Der Rest des Ensembles bewegt sich auf gutem Stadttheater-Niveau. Besonders hervorzuheben ist der Chor, der in der Inszenierung von Gregor Horres zu einer zentralen Partie aufgewertet wird.

Horres siedelt das Stück in einer zweistöckigen Bodega an, die sich als Firmenkantine einer frühindustriellen Fabrikanlage entpuppt. Überall rotieren Räder und dampfen Schlote in der aufwändigen Szenerie von Jan Bammes. Hier herrscht Dulcinea als Objekt der Begierde, die von etlichen skurril überdrehten Galanen vergeblich angebetet wird. Der auf einem Drahtgestell daher reitende Don Quichotte und sein ähnlich berittener Diener werden als exotisch wirkende Abwechslung goutiert. Und das Versprechen des Ritters, der Dame ihr geraubtes Collier den Händen der Banditen zu entreißen, steigert den Unterhaltungswert des Narren, der Werte einer versunkenen Zeit retten will und dafür Spott und Hohn erntet.

Die Handlung als Nahtstelle zwischen einer idealisierten Vergangenheit und einer brutalen Jetztzeit arbeitet Horres durchaus überzeugend heraus. Die gesellschaftliche Bedeutung der Handlungen des „Narren“ unterstreicht Horres durch die pausenlose Anwesenheit des Chores. Wir haben es nicht mit einem privaten Drama zwischen Dulcinea und dem alternden Galan zu tun, sondern mit der Konfrontation von Gestern und Heute.

Es spricht sowohl für Massenet als auch für Horres, dass er die Figur der Dulcinea nicht kokett überzeichnet, sondern auch ihr mitleidende Züge verleiht. Insofern steht sie über dem oberflächlichen Umfeld und die für Don Quichotte ernüchternde, ja niederschmetternde Aussprache zwischen den beiden lässt ein inneres Einvernehmen erkennen, dem sich Dulcinea nicht stellen will. Aus Liebe zur Ungebundenheit und aus dem Verlangen, begehrt zu sein, ohne jemals erobert zu werden.

Das Premieren-Publikum reagiert begeistert auf die insgesamt sehenswerte, rundum gediegene Produktion, die auch der feinen Ironie Massenets erheblich größeren Raum lässt als etwa die Wuppertaler Inszenierung von Jakob Peters-Messer.

Pedro Obiera







Fotos: Klaus Lefebvre