Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DON CARLOS
(Giuseppe Verdi)
30. Dezember 2012
(Premiere am 10. November 2012)

Theater Hagen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort



 

zurück       Leserbrief

Die Vergänglichkeit der Welt

Es ist eine Geschichte wie aus einer Illustrierten. Der Sohn eines Monarchen verliebt sich in eine adelige Dame, die aber aus Prestige-Gründen an den alten Monarchen vergeben wird, was den Sohn wiederum in tiefe Verzweiflung stürzt. Diesen persönlichen Kern von Verdis Meisterwerk erkennt man in der Inszenierung von Philipp Kochheim noch am deutlichsten. Doch zunächst überwiegt das große szenische Fragezeichen, kann man in den ersten Bildern nicht ganz die Botschaft von Kochheim herauslesen. Man bemerkt, dass er die Oper ins ausklingende 19. Jahrhundert verlegt hat, und das Don Carlo durch den Liebeskummer psychisch nicht mehr ganz auf der Höhe ist. Ein Zustand, der sich im Laufe der Vorstellung noch drastisch steigern wird. Der Prinz, der kriechend bei seinem Freund Rodrigo Zuflucht und Trost sucht, wird zu einem hyperaktiven Anti-Helden demontiert. Das macht ihn aber nicht nur in dem politisch-theologischen Handlungsstrang der Oper, als Befreier Flanderns, unglaubwürdig. Auch das Interesse der Damen Elisabeth und Eboli dürfte höchstens dem Mitleid für die Person entspringen. Letztere wird im zweiten Bild als emanzipierte, liberale Persönlichkeit eingeführt, die in der weiblichen Hofgesellschaft nicht nur auf Akzeptanz stößt.

Überhaupt bleibt die politische Ebene der Oper relativ unscharf. Man nimmt Phillip als Familienpatriarch mit gesellschaftlichem Einfluss wahr. Die unterdrückte Unterschicht dieser Zeit werden zum Autodafé in der Gestalt von Bauern und Handwerker als flandrische Abordnung auf die Bühne geführt, die ein Bankett der Oberschicht stören. Das einzige, was hier brennt, ist das Spanferkel. Und einige Vertreter der Oberschicht, General, Priester und so weiter, starren düster auf die Zeitung, singen etwas vom Tag des Schreckens. So spannungsarm, weil unmotiviert, hat man diese packende Szene selten erlebt. Auch der Großinquisitor wird trotz der eindrücklichen Gestalt von Orlando Mason, der seine langen Finger wie Spinnenbeine tastend über den Schreibtisch des Königs gleiten lässt, nicht als klare, geschweige denn kirchenmächtige Figur aufgebaut. Geschoben wird er in seinem Rollstuhl später vom dem wie ein Kardinal gekleideten Mönch, der die Ruhe des Klosters proklamiert.

Interessant wird der dritte Akt umgedeutet: Carlos erschießt versehentlich im Wahn Rodrigo, weshalb die Unterschicht, die sich langsam zu Rodrigos Tod zusammen rottet, auch den Prinzen herausfordert. Wirklich abgerundet wird die persönliche Ebene der Inszenierung durch das letzte Bild. In den Trümmern ihrer Welt, ausgedrückt durch wild durcheinander geworfene Elemente der vorherigen Bilder, wandern Philipp, Carlos und Eboli umher, während die immer noch ganz bei sich gebliebene Elisabeth die Vergänglichkeit der Welt besingt. Eine Familie, ein Unternehmen ist gescheitert. Carlos ergreift das Gewehr seines Vaters, erschießt – völlig unklar, warum – den Großinquisitor und jagt seinen Vater durch das Trümmerfeld. Das Ende bleibt offen, auch wenn man es ahnt.

Ein interessanter Ansatz insgesamt, der durch viele Unklarheiten unscharf bleibt und zudem noch durch einige Albernheiten überinszeniert wird. Beispielsweise stellt Rodrigo sein Fahrrad im ersten Bild direkt neben dem Grab von Carlos' Großvater ab. Auch der Wahnsinn von Carlos wird völlig überzeichnet, wenn er viel zu oft über die Bühne rennen oder sich in einen Koffer quetschen muss. Die Bühne wird von Uta Fink pro Bild immer neu gestaltet, doch die Umbaupausen sind eindeutig zu lang und reißen die Zuschauer immer wieder aus der Spannung. Trotz aller Detailarbeit schimmert im Ambiente auf der Bühne immer eine gewisse Kälte und Trostlosigkeit durch, etwa in den kahlen Sträuchern. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die fast-überpräsente Beleuchtung. Ganz unverhüllt offenbaren die Lichter von allen Seiten die Szene, nichts entgeht ihnen. Finks Kostüme von sind der Epoche angemessen und kleidsam, unterstützen unauffällig das Bühnengeschehen.

Umso auffälliger behauptet sich die Musik. Da gelingen dem Hagener Orchester vor allem in den Ensembles packende und mitreißende Momente. Vokal können zwei Sänger ohne Ausnahme punkten: Da ist zum einen Tamara Haskin als Elisabeth: Eine wunderschöne Stimme, die passend zur Rolle stets ausgeglichen in sich ruht. Und zum anderen Raymond Ayers, der den Rodrigo ganz individuell und stets ausgeglichen singt, genau seine Möglichkeiten kennt und nutzt. Neben diesen beiden überzeugt auch Xavier Moreno als Carlos. Es ist schon beeindruckend, wie er neben seinem schauspielerischen Dauereinsatz die Rolle noch so strahlend und kraftvoll singen kann. Rainer Zaun hingegen ist als Philipp vor allem durch seine Persönlichkeit präsent. Stimmlich verströmt er nahe an der Deklamation etwas zu wenig italianità. Kristine Larissa Funkhauser legt die Eboli schauspielerisch kühl an, in ihrem lyrischen Mezzo offenbart sie traurige Einsamkeit. Nur in den dramatischen Momenten geht ihr etwas die Luft aus, da ihr das passende Fundament fehlt. Auch Orlando Mason, der den Großinquisitor ansonsten sehr bedrohlich singt, fehlt die Sicherheit in der Höhe. Die restlichen Personen sind rollendeckend aus dem Ensemble des Theaters besetzt. Chor und Extrachor sind in der Einstudierung von Wolfang Müller-Salow ein Klangkörper erster Güte. Von ihnen hört man auch noch am meisten, wenn das Philharmonische Orchester Hagen richtig Gas gibt. Dirigent David Marlow achtet vor allem in den ersten drei Bildern zu wenig auf die Balance zwischen Stimme und Instrument. Da geht schon viel unter, sobald sich die Sänger im offenen Bühnenraum befinden. Ansonsten gelingt ihm mit dem Orchester eine spannende, stellenweise sogar atemberaubende Widergabe des Dramas.

Es ist traurig, wie wenig Zuschauer am Silvestervorabend den Weg ins Theater gefunden haben. Dabei hätte diese Vorstellung mehr Aufmerksamkeit verdient. Aber umso überraschender ist, dass die wenigen Zuschauer doppelt so laut klatschen wie erwartet und das gesamte Ensemble ausgiebig feiern. Gebt Freiheit – so fordert es Rodrigo vom König, also vom Staat. Mit diesem Don Carlos kann das Theater auch seine Freiheit in der Finanzverwaltung zurückfordern.

Christoph Broermann

 

Fotos: Stefan Kühle