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Fakten zur Aufführung 

CARMEN
(Georges Bizet)
11. Juni 2013
(Premiere am 8. Juni 2013)

Theater Hagen


Points of Honor                      

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Das Beste kommt zum Schluss

Bei der letzten Opern-Premiere der Saison in Hagen stimmt schon die Atmosphäre beim Betreten des Auditoriums. Mediterrane Grillen zirpen aus dem Lautsprecher – und werden es die ganze Oper weiter machen, wenn auch nicht vordergründig – und eine spanische Hitze liegt über den Zuschauern, so dass man sehnsüchtig an einen Fächer denkt. Die Inszenierung von Anthony Pilavachi kommt dagegen völlig ohne Andeutungen auf Spanien und jegliche schwülen Wetterzustände aus. Er erzählt im Grunde die Geschichte ganz eingängig im letzten Jahrhundert, aber – und das ist das Großartige an dieser Arbeit – er erzählt sie spannend, glaubwürdig, klischeefrei und konsequent. Peer Palmowski hat ihm kalte, graue Mauern auf die Bühne gestellt, die von Akt zu Akt verändert völlig ausreichen, um gekonnt den jeweiligen Ort vor Augen zu führen. So kalt das Ambiente, so heiß sind die Emotionen die darin hochkochen.

Schon in der Ouvertüre stellt Pilavachi die beiden Hauptcharaktere vor: Die kleine Carmen wird mit dem ersten Orchestereinsatz vor den eisernen Vorhang ausgesperrt, entwickelt sich dann auf der Bühne als Taschendiebin weiter. Mit dem großen Schicksalsmotiv führt Pilavachi Don José ein, der schon jetzt eifersüchtig beobachtet, wie die erwachsene Carmen mit dem Sergeant Morales flirtet. Wie sich diese beiden Personen in der Oper entwickeln, ist spannend anzusehen. Carmen, die mit dem Testosteron der Männer spielt und doch unterschwellig auch ein Zuhause sucht. Mit wenigen Gesten bringt sie die Männerwelt zum Tanzen und um ihr Geld. Don José, der immer leicht belächelte, leicht unbeholfene Soldat, der seine Ängste mit Aggressionen kompensiert. Vor seiner Blumenarie, wenn er sich Carmen zum ersten Mal wirklich öffnet, muss er zum Messer greifen, um sie zum Zuhören zu zwingen. Drei Mal wird er dann zum Mörder. Im Rausch der neuen Freiheit tötet er seinen gefesselten Vorgesetzten Zuniga. Micaela, die in Beamtenuniform für ihn ein Teil des Systems und somit letztendlich doch unattraktiv ist, wird von ihm erschossen, als sie sich in den Schuss wirft, der für Escamillo bestimmt ist. Dass der ein Torero sein soll, erkennt man beim ersten Auftritt kaum. Sein blauer Anzug drückt vieles aus, nur nicht, dass man diesen Mann ernst nehmen muss. Das ist der einzige optische Fehlgriff von Bernd Hülfenhaus, der ansonsten aber wirklich sehenswerte Kostüme zeigt. Josés dritter Mord erfolgt nach einer packenden Auseinandersetzung mit Carmen, die – ein genialer Einfall – in dem Zimmer stattfindet, in dem Escamillo sich auf den Stierkampf vorbereitet. Wenn der völlig heruntergekommene José die Tür abschließt, läuft einem das Gruselgefühl den Rücken herunter.

Diese körperbetonte Regiearbeit erfordert von allen Darstellern ein hohes Maß an spielerischem Einsatz, und die beiden Hauptfiguren werden diesem Konzept vollauf gerecht. Die hervorragende Kristine Larissa Funkhauser bleibt dieser Carmen nichts schuldig. Regie und Kostüme geben ihr oft die Möglichkeit zu sinnlichen Momenten, die sie ebenso natürlich spielt wie die eiskalten Ausbrüche. Das ist eine szenische wie vokale Totalidentifikation, mit der sie kleinere vokale Defizite, wie eine stumpfe Höhe und ein etwas übertriebenes Portamento, wieder wettmacht. Auch Charles Reid gelingt ein spannendes Portrait des Don José. Mit sehr schönem Timbre gestaltet er die sensible Seite der Figur. Seine Aggressionen wirft auch mit mächtigen Forte-Tönen nach vorne – leider aber mit viel zu viel Druck, so dass sein schönes Mezza Voce brüchig wird. Frank Dolphin Wong kommt mit der vertrackten Tessitura des Escamillo bestens zurecht und singt den Torero mit siegessicherer Ruhe. Die lyrischen Kontraste zum dramatischen Liebespaar setzt Jaclyn Bermudez als Micaela. Bei ihrem ersten Auftritt ist sie noch nicht in der rhythmischen Spur, ihre große Arie im dritten Akt gelingt als perfekter Moment des Innehaltens. Auch in den kleineren Rollen präsentiert sich das Theater Hagen mit geschlossener Ensembleleistung: Rainer Zaun und Raymond Ayers sind die arrogant-autoritären Soldaten Zuniga und Morales. Jeffery Krueger und Richard von Gemert führen gut gelaunt die Schmuggler an. Maria Klier und Marilyn Bennett sind die drolligen Zigeunerinnen Frasquita und Mercedes.

Viel Temperament gewinnt die Oper durch die Chöre von Wolfgang Müller-Salow. Bei den Herren gibt es zwar zum Ende hin eine etwas voreilige Stimme, doch ansonsten präsentieren sich die Männer geschlossen stimmstark und die Frauen besonders klangschön. Ein großes Kompliment muss man dem Kinder-und Jugendchor unter der Leitung von Caroline Piffka und Alexander Ruef für den nahezu perfekt vorgetragenen Soldatenchor der Kinder machen. Das i-Tüpfelchen des Erfolgs ist das Philharmonische Orchester Hagen, das Bizets Partitur so detailliert und sauber spielt, als hätten sie die ganze Saison nichts anderes gemacht. Eigentlich darf man bei dieser Leistung keine Stimme hervorheben, aber die funkelnden Holzbläser spielten sich in einen echten Rausch. Von Dirigent Florian Ludwig hätte man sich manchmal noch etwas mehr Zuspitzung in der Dramatik gewünscht, doch ansonsten führt seine musikalische Leitung diesen Abend zu einem vollen Erfolg. Auch das Publikum sieht das so und feiert insbesondere die beiden Hauptpartien. Manche haben wohl doch besser zugehört, als der hohe Gesprächsanteil glauben machen wollte.

Christoph Broermann







Fotos: Stefan Kühle