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Fakten zur Aufführung 

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)
24. September 2011
(Premiere)

Theater Hagen


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Im Heute und in Hagen

Paris spielt in der neuen La Bohème in Hagen nur eine marginale Rolle. Immerhin hat Marcello den Eifelturm sowie andere prägnante Häuserumrisse auf die Wände der Container-Mansarde gemalt. Dieser Container, so erkennt man im zweiten und dritten Akt, wo er mal als Cafe Momus, später als Disco fungieren muss, steht in der tristen grauen Landschaft eines Wohnblocks, wie er auch in Hagen vorkommen könnte. Im dritten Akt hat er sogar eine eigene U-Bahn-Haltestelle.

Im ersten und vierten Akt ist die zweistöckige Behausung von Bühnenbildner Peer Palmowski ideal für das heitere Treiben der Bohèmiens, die sich schwungvoll über Treppe und Leiter bewegen. Für den zweiten Akt wird der Container mit der Rückseite leicht diagonal auf der rechten Bühnenhälfte positioniert und wird somit zum Problemfall. Denn dem großen Aktionismus der Kinder- und Opernchöre, die sich, einstudiert von Wolfgang Müller-Salow und Caroline Piffka, als eine vokal wirkungsvolle Masse mit der leichten Tendenz zum Davoneilen präsentiert, ist eine drastische Grenze gesetzt. Zuviel passiert in diesem Akt auf einer zu kleinen Fläche, die Plaudereien der Bohèmiens nimmt man nur mit den Ohren wirklich wahr.

Ansonsten hat Bruno Berger-Gorski eine ordentliche Inszenierung vorgelegt, die das Publikum mit einer braven Erzählung unterhalten kann. Am besten gelingen Berger-Gorski der dritte und vierte Akt, weil er hier Gespür für den dramatischen Aufbau zeigt. Auch die kurzen Chorpassagen zu Beginn des dritten Aktes, die ja eigentlich am Zoll gesungen werden, überträgt er zumeist sinnvoll auf die Disco-Situation. Die Verlegung ins zwanzigste Jahrhundert funktioniert auch dank der Kostüme von Christiane Luz bei einer Bohème durchaus, obwohl man sich schon fragt, warum die Künstler die sterbende Mimi nicht einfach ins Krankenhaus bringen, oder warum Mimi und Rudolfo sich wie mittlerweile üblich durch den bekannten Kerzen-Auspust-Trick näher kommen, wo es doch elektrisches Licht gibt.

Aber schließlich muss man ja auch der wunderschönen Musik Puccinis Rechnung tragen, die ihre eigene Sprache spricht. Das Philharmonische Orchester Hagen tut sich gerade im ersten Akt noch schwer damit. Vieles klingt noch vage, die Einsätze wackeln. Doch mit zunehmender Vorstellungsdauer spielt sich das Orchester frei, zeigt, welch wunderschöne Melodien es zu spielen vermag und verschmilzt mit den Sängern. Gerade der dritte Akt gelingt sehr ergreifend. Allerdings spielt das Orchester pauschal eine Spur zu laut, und Dirigent Florian Ludwig setzt etwas zu sehr auf krachende Akzente. Seine Interpretation der Bohème versprüht pralles Leben, und der dramatische Schluss geht unter die Haut.

Trotz der etwas lautstarken Begleitung kommen vor allem die tiefen männlichen Stimmen nie in Gefahr, nicht gehört zu werden, und protzen geradezu mit ihren Resonanzen. Rainer Zaun ist  ein toller Colline mit vielen Facetten und Frank Dolphin Wong gelingt es sogar, die eher kleine Rolle des Schaunard auf eine Ebene mit Marcello zu rücken. Das ist um so mehr zu beachten, als mit Raymond Ayers ein glaubwürdiger, stimmlich hervorragender Künstler auf der Bühne steht. Seine Musetta findet mit Sarah Längle eine gute Interpretin, die es aber versäumt, die Zuschauer wirklich um den Finger zu wickeln. Jaclyn Bermudez ist eine herrlich lyrische Mimi, mit leichten Problemen, präsent über dem Orchester zu schweben, aber dafür mit viel Herz und Gefühl. Auch sie steigert sich von ihrem schönen Mi chiamano Mimi zu einem Donde lieta usci mit berührender Wirkung. Bei ihrem Tod bleibt kaum ein Auge trocken, denn auch Tenor  Rafael Vázques hat hier zu einer guten Form gefunden. In den Akten zuvor hinterlässt er einen zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite erfreut sein schönes Timbre mit spanischem Einschlag sowie manche schön gestaltete Phrase. Auf der anderen Seite scheint er sich die Höhen nur mit Kraft erobern zu können. Zudem irritiert sein Hang zum Deklamieren und zum Anschleifen der Töne, was bei seinem Material eigentlich überflüssig ist.

Doch am Ende trifft dieses Paar die Emotion der Oper auf den Punkt, und das Publikum ist begeistert über so viel Herzblut. Das gesamte Ensemble wird begeistert empfangen und verabschiedet. So feiert das Theater Hagen seinen 100. Geburtstag würdevoll weiter.

Christoph Broermann






 
Fotos: Theater Hagen