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Fakten zur Aufführung 

BEATS!
(Axel Goldbeck)
14. April 2012
(Premiere)

Theater Hagen


Points of Honor                      

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Hagen sucht den Superstar

Das Theater Hagen wird diese Spielzeit 100 Jahre alt und hat – vielleicht auch in Gedanken an die nächsten 100 Jahre – ein einzigartiges Projekt auf die Beine gestellt. In mehreren Castings ist aus den Schülern der Hagener Berufskollegs eine Gruppe von 40 Jugendlichen zusammengestellt worden, die innerhalb von knapp vier Monaten vier mal wöchentlich mit Hilfe von Gesangs-, Schauspiel-, Fitness- und Tanzcoaching ein eigens für diesen Anlass komponiertes Musical erarbeitet. Dazu kommen noch mehr als 100 weitere Schüler, die im Background für Marketing, Technik und Bühnenbild zuständig sind. Und das neben Ausbildung und Schule. Zwar übernehmen das Libretto Johannes Maria Schatz, Songtexte Diane Weigmann und Axel Goldbeck die Musik, aber beim Plot hatten auch die Theater-Neulinge mitzuentscheiden. Die Handlung ist guter Musical-Stoff: Zwei Gruppen verschiedener Sozialisation treffen aufeinander. Lara aus der „Spießer-Fraktion“ verliebt sich in TC aus der „Hip-Hopper-Riege“, der zunächst nur eine Wette um das Mädchen mit seinen Kumpels „am Laufen“ hat. Doch beide verbindet der Gesang für den Gig, der das Jugendzentrum vor dem Ruin retten soll, und er entwickelt echte Gefühle für das Mädchen aus gutem Hause. Natürlich ist auch eine Intrige nicht weit: Thessa, die Ex-Freundin, will TC wieder für sich gewinnen und gefährdet das Projekt und die frische Liebe der beiden. Ein Nebenstrang der Handlung erzählt die Geschichte von Floh, die auf Mädchen steht und für ihre Gefühle zur Balletttänzerin Alani gehänselt wird. Themen, mit denen sich Jugendliche oft auseinandersetzen müssen, wie Ausgrenzung, kulturelle und soziale Unterschiede, Toleranz und Teamwork tragen dazu bei, dass sich die Darsteller mit den Rollen identifizieren können. Die Inszenierung von Thilo Borowczak versucht den Jugendlichen einen natürlichen Spielraum zu verschaffen, den diese bewegungsvoll und energiegeladen nutzen. Co-Regisseur ist der Schauspieler Robert Schartel, der gleichzeitig den charismatischen Alt-Rocker Gillan und Leiter des Jugendzentrums spielt.

Das durchaus realistische Bühnenbild von Jan Bammes zeigt in mehreren Szenen das etwas heruntergekommene Jugendzentrum, den Schlafsaal mit einem überdimensionalen Bild Che Guevaras an der Wand, die Lieblings-Bar der Jungs und die Straße, die mit den typischen Häuserfassaden und Graffiti-Wänden eine Großstadt darstellt. Dabei trägt der Einsatz der Drehbühne zur dynamischen Gestaltung bei. Die Kostüme von Christiane Luz sind zwar jugendgerecht, aber teilweise zweifelt man, ob die Darsteller sich auch privat so kleiden würden, zumal nicht alle Klamotten richtig sitzen: da trifft eine pinke Leggins auf Leoprint und Jeans Hotpants, oder Klischee-Hip-Hopper-Käppi auf eng geschnittenes Karo-Hemd. Weniger ist manchmal mehr.

Die sängerische Leistung ist in Anbetracht der kurzen Zeit, die die Mitwirkenden zur Verfügung hatten, sehr gut. Es ist nur natürlich, wenn mal ein Ton daneben rutscht, immerhin stehen keine Profis auf der Bühne. Aber das machen die jungen Darsteller mit Begeisterung und Einsatz wieder wett. Auch die mehrstimmigen Chorstellen klappen erstaunlich gut. Auffällig ist die offensichtliche Disziplin der Jugendlichen, die kein einziges Mal einen Einsatz verpassen, ihren Text vergessen oder einen Schritt der Choreographie von Ricardo Fernando verpatzen. Da wurde ordentlich geprobt. Stimmlich herausragend ist Wioleta Czebotorowicz als Floh, die im Lied „Nicht anders als du“ das Publikum rührt. Joanna Baker spielt die wortgewaltige und trotzige Thessa, die beeindruckend laut werden kann. Luc Packlidat als TC überzeugt mit einer warmen und schmeichelnden Stimme. Lisa Gonscherowsky spielt die verwöhnte Lara authentisch und singt ihre Solopartien souverän. Bemerkenswert sind die Natürlichkeit und die Energie, mit der die jungen Darsteller bis in die Nebenpartien ihre Rollen ausfüllen.

Eingängige und schöne Melodien, verschiedene Stile von Blues über Hip-Hop, Pop und vor allem ganz viel Musical werden vom Philharmonischen Orchester Hagen unter der Leitung von Steffen Müller-Gabriel schwungvoll und abwechslungsreich umgesetzt. Das auf den Plakaten und der Homepage versprochene Crossover à la Save the last Dance findet leider musikalisch nicht wie erwartet statt, sondern ist eher Teil der Handlung.

Im Zuschauerraum ist es relativ unruhig, und es herrscht eine lockere Atmosphäre – da nimmt auch mal einer sein Bier mit in den Saal, und zwischen den Umbauphasen wird gerne geplaudert. Bestimmt ist auch der eine oder andere dabei, der tatsächlich noch nie im Theater gewesen ist. Und genau aus dieser Perspektive ist das Projekt ein voller Erfolg. Die Energie auf der Bühne ist letztlich ansteckend. Das Publikum gibt Szenenapplaus, pfeift, jubelt frenetisch und gibt den glücklichen jungen Darstellern am Ende standing ovations. Das Schönste an diesem Abend ist, dass sich den Zuschauern etwas von dem Gemeinschaftsgefühl und dem Herzblut vermittelt, das die Jugendlichen so strahlen lässt.

Miriam Rosenbohm







Fotos: Foto Kühle