Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

TURANDOT
(Giacomo Puccini)
18. Januar 2014
(Premiere)

Opernhaus Graz


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Subtiler Klangrausch in einnehmender Ästhetik

Um Liebe zu bekommen, muss man Liebe geben. Vielleicht ist das die Antwort auf die großen Rätsel der Turandot? Nach einer langen, musikalischen und emotionalen Reise sitzen sie, die Titelheldin und Calaf, in den letzten Minuten der Oper ganz vertraut wie ein altes Ehepaar an einem winzigen Küchentisch und halten ihre Hände: So soll die Liebe einfach sein, so scheint es, will uns dazu Regisseur Marco Arturo Marelli sagen.

Turandot handelt aber nicht nur von Rätseln – es ist insgesamt ein rätselhaftes Werk. Denn der Komponist Giacomo Puccini hat es nie geschafft, seine letzte Oper zu vervollständigen, möglicherweise, weil er nie eine befriedigende Lösung für den Schluss gefunden hat. Erst nach seinem Tod wurde der letzte Akt, das Schlussduett und das Finale, von seinen Schüler und Freund Franco Alfano nach Puccinis Skizzen vollendet. In dieser Form wird das Musikdrama heute üblicherweise aufgeführt, so auch am Grazer Opernhaus in einer Koproduktion mit dem Opernhaus in Stockholm, wo die Produktion schon letzten Februar gezeigt wurde. Nach Graz wandert sie nach Oslo.

Das dürfte auch der Grund sein, warum Marelli noch vor dem ersten wuchtigen Eingangston zeigt, wie Puccini in einem eher kahlen, in blau gehaltenen Raum, verzweifelt am Klavier sitzt, um seine Oper zu vollenden. Aber es fällt ihm partout nichts ein, und so geht er rastlos auf und ab. Dann öffnet er eine asiatische Spieluhr, die ihn auch realiter bei einem Freund inspiriert haben soll, aus der das Turandot-Motiv ertönt. Sofort stürmt er zur Partitur und öffnet sie. Gleichzeitig wird er zu Calaf, und das Spiel beginnt.

Der ästhetische, nur zu einem kleinen Teil mit asiatischen Ornamenten ausgestattete Einheitsraum wird zu einem magischen Traumraum mit verschiedenen Ebenen. Die schiefen Wände und der schiefe Boden, beide werden immer wieder verschoben und eröffnen neue Räume, lassen das vermuten. Das gewöhnliche, chinesische Volk ist hier ein in festliche Abendroben und Anzüge aus der Entstehungszeit der Oper, 1926, gekleidetes Theaterpublikum. Die Kostüme stammen von Dagmar Niefind-Marelli. Dieses Theaterpublikum mit seinen Champagnergläsern sitzt begierig nach Sensationen auf Theaterstühlen, die immer wieder herein- und hinausgefahren werden, und beobachtet die Show. Herumtanzende Harlekins, aber auch Salti schlagende Artisten oder gar die Hinrichtungen der Verehrer, denen es nicht gelang, die schwierigen Rätsel der eisumgürteten Prinzessin zu lösen, tragen zur Unterhaltung bei. Mit bunten Kostümen und Masken sind die Minister Ping, Pang und Pong ausgestattet, die im zweiten Akt in einer Art pathologischen Instituts den letzten abgeschlagenen Kopf in ein mit Formalin gefülltes Gefäß geben und in die Vitrinen-Galerie aller ehemaliger, erfolgloser Verehrer stellen. Wunderbar ist der Mondchor gestaltet mit einem durchsichtigen Vorhang, auf den ziehende Wolken und letztlich der aufgehende Mond riesig projiziert werden. Als bei der Rätselszene Calaf erfolgreich ist, wird der Prinzessin Schicht für Schicht ihre Kleidung, ihren eisigen Panzer symbolisierend, ausgezogen. Das Finale endet als Massenhochzeit, bei der der gesamte Chor wie auch Turandot mit Brautschleier nun in symbolhaftem, reinen Weiß und Calaf in Hochzeitgewändern auftreten.

Es sind zweifellos mannigfaltige Einfälle und starke, symbolhafte Bilder Marellis, der wie immer sein eigener Bühnenbildner ist. Jedoch sind die meisten nicht mehr besonders innovativ und erzeugen nicht jene beherrschende, visuelle Ästhetik, die man sonst von ihm gewohnt ist.

Mlada Khudoley singt hochdramatisch und packend die stolze, kalte Prinzessin mit ihren tödlichen Rätseln. Ihr ergreifender Kontrapunkt ist der Idealfall einer Liù: In makelloser Schönheit und Innigkeit berührt Gal James mit einem der typischen fragilen Frauenporträts Puccinis, nur wurde sie schrecklich geschmacklos und unförmig angezogen. James Lee als Calaf/Puccini verfügt über einen ausgesprochen schönen, schmelzigen Tenor mit freier Höhe. Hin und wieder neigt er dazu, die Töne anzuschleifen und in allzu anrührendes Schmachten zu verfallen. Konstantin Sfiris ist ein viel zu derber und orgelnder Timur. Ivan Orescanin singt Ping mit warmem Bariton, exzellent sind auch Taylan Reinhard als Pang und Martin Fournier als Pong, die zudem sehr fein komisch inszeniert sind. Manuel von Senden singt den alten Kaiser Altoum ideal. Kernig klingt David McShane als Mandarin. Hervorzuheben ist auch der durchschlagskräftige Chor des Hauses, einstudiert von Bernhard Schneider und der Kinderchor des Opernhauses, die Singschul’, dessen Einstudierung Andrea Fournier besorgte, die überwiegend mit dem Orchester im Einklang sind.

Puccinis Partitur setzt monumentale Anforderungen an den groß besetzten Orchesterapparat. Domingo Hindoyan weiß bei den gut disponierten Grazer Philharmonikern trotz der manchmal extrem breit gewählten Tempi einen wahren Klangrausch zu entfachen, den jedoch auch so zu dosieren, dass eine sängerfreundliche Balance zwischen den Protagonisten und dem Orchester entsteht, und das feinnervige Raffinement wie auch die subtilen, exotisch-koloristischen Klangwirkungen voll zur Geltung kommen.

Donnernder Applaus für die Protagonisten und das leading team.

Helmut Christian Mayer

Fotos: Werner Kmetitsch