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Fakten zur Aufführung 

JENUFA
(Leoš Janáček)
29. März 2014
(Premiere)

Opernhaus Graz


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Minimalistisch-psychologisches Kammerspiel

Ein Tisch mit Stühlen und ein Bett, sonst nichts. Das eine im Vordergrund, das andere ganz hinten. Es sind die zwei wichtigsten Orte des menschlichen Zusammenlebens: So sieht das zumindest Peter Konwitschny bei Leoš Janáčeks Jenufa am Opernhaus Graz. Rund um den Tisch spielt sich alles Wesentliche ab. Er dient nicht nur zum Sitzen, sondern auch zum Verstecken, zum Belauschen, hier macht man einen Heiratsantrag oder man balgt darunter herum wie kleine Kinder. Durch eine drehbare Scheibe kann das Bett auch in den Vordergrund gedreht werden. Entsprechend den Jahreszeiten zeigt der Bühnenboden eine grüne, saftige Wiese für den Sommer, weißen Schnee für den Winter und gelbe Krokusse wie auch grüne Blätter für den Frühling. Drumherum ist nichts: Unendliche Weite statt bäuerliche Enge. Gemeinsam mit seinem Ausstatter Johannes Leiacker wird vom Regisseur in dieser tragischen Geschichte aus dem mährischen Bauernleben des 20. Jahrhunderts auf Reduktion auf das Wesentliche gesetzt.

Und das Wesentliche sind für Konwitschny die Menschen, deren Geschichte in diesem minimalistischen Ambiente gezeigt wird. Sie sind alle für die Zeit in entsprechende Kostüme gekleidet, sind psychologisch scharf gezeichnet und genauestens bis ins kleinste Detail geführt. Ohne der sonst von ihm gewohnten Brüche und Verfremdungen oder gar Überfrachtungen werden die Charaktere klar und verständlich durch eine nuancenreiche Personenführung dem Publikum präsentiert. Insgesamt zeigt er ein bestechendes, psychologisches Kammerspiel.

Schonungslos zeigt er die Doppelmoral dieser von der katholischen Kirche gefangengenommenen, ländlichen Gesellschaft auf. Besonders intensiv gelingt ihm das bei der dafür besonders dankbaren Figur der Küsterin. Mit ihrem hochgeschlossenen, schwarzen, puritanisch wirkenden Kleid, nach oben gerecktem Kinn, stramm und hager, unerbittlich und streng: So furchteinflößend erscheint die Frau in der betrunkenen Runde und bereitet dem ausgelassenen Fest mit schon beischlafähnlichen Bewegungen ein jähes Ende. Konwitschny hat das Glück, mit Iris Vermillion, die nach der Klytämnestra aus Elektra 2012 wieder in Graz ist, eine Singschauspielerin ersten Ranges zu haben. Sie spielt und singt diese Partie während der gesamten Oper ungemein präsent, scharf, dramatisch und sensationell ausdruckstark. Mit all ihrem Kampf vor dem Kindsmord wie auch mit ihrer Zerrissenheit und ihren Wahnsinnsattacken danach weiß sie, spannend zu faszinieren. Und wenn sie zum Finale des zweiten Aktes, auf ebendiesem Tisch stehend, sich ihr Kleid vom Leib herunterreißt und sich wie zum Sterben hinlegt, während es zu schneien beginnt, plötzlich blaues Licht die Bühne magisch beleuchtet, und das Orchester mit wuchtigen Klängen wütet, passiert großes Musiktheater.

Dafür sorgt auch Gal James als intensive Jenufa. Zuerst etwas zu verhalten als Naive, aber dann immer mehr groß auftrumpfend als Verzeihende. Vor allem im Gebet und in ihrem Schlussgesang ist sie phänomenal. Aleš Briscein, der anfänglich sehr aggressiv gezeichnet wird und ständig mit dem Messer und einem Stecken herumgestikuliert, kann als wunderbar lyrisch timbrierter Laca mit mühelosen Höhen punkten. Da gefällt Taylan Reinhard mit seinem kleineren Tenor als Stewa schon etwas weniger. Für die alte Buryia wird immerhin Dunja Vejzovič, die seinerzeit unter Herbert von Karajan unter anderen die Kundry im Parsifal gesungen hat, aufgeboten. Sie strahlt immer noch große Bühnenpräsenz aus. Bei den vielen kleineren Partien stechen ganz besonders David McShane als Altgesell und Nazanin Ezazi als Jano mit ausgesprochen schönen Tönen hervor. Makellos hört man auch den Chor des Hauses, akkurat einstudiert von Bernhard Schneider, wie auch den Kinderchor der Grazer Oper, die „Singschul`“, deren Einstudierung Andrea Fournier besorgte.

Gespielt wird in Graz die sogenannte „Brünner Fassung“ aus 1908, die nicht die vom Prager Dirigenten Karel Kovarovic geschaffenen, spätromantischen Glättungen enthält und vom Dirigenten Charles Mackerras und John Tyrell rekonstruiert und herausgegeben wurde. Zum Erfolg dieser Produktion tragen auch wesentlich Dirk Kaftan am Pult und die Grazer Philharmoniker teil: Wiewohl manchmal zu sehr auf die eine oder andere kleinere Stimme zu sehr eingegangen wird, was dann auf Kosten des gewünschten, schwelgerischen Klanges geht. Wie wohl so mancher Akzent noch mehr Schroffheit vertragen hätte, so wurde insgesamt, ab und zu auch mit kleinen, dramaturgisch ausgereizten Pausen angereichert, doch mit großem Feinschliff, vielen Valeurs, reichen Nuancen und Spannungselementen musiziert. Besonders erwähnenswert ist die famose Konzertmeisterin Fuyu Iwaki, die ihr Violinsolo als Erscheinung von Jenufa und eingebunden in die Handlung als Zwiegespräch mit der Titelheldin hoch virtuos spielt.

Zum Finale gibt es großen Jubel vom begeisterten Publikum ohne jeglichen Widerspruch für eine in allen Bereichen gelungene und stimmige Opernproduktion.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Wolfgang Kmetitsch