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Fakten zur Aufführung 

MESSA DA REQUIEM
(Giuseppe Verdi)
14. November 2013
(Premiere am 13. Oktober 2013)

Bühnen der Stadt Gera, Konzertsaal


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Oper im Kirchengewand

Die Entstehungsgeschichte von Verdis Messa da Requiem ist eng mit dem Tod zweier großer Künstler verbunden. Als der Komponist Gioacchino Rossini im Jahre 1868 starb, regte Verdi die Komposition einer Totenmesse zu seinen Ehren an. Es sollte ein ungewöhnliches Projekt werden, die insgesamt dreizehn italienischen Komponisten sollten jeweils einen Teil komponieren. Das Werk wurde zwar fertiggestellt, konnte aber nicht zu Rossinis erstem Todestag aufgeführt werden, da es mit dem Veranstalter Querelen um die Honorare gab. Verdis Beitrag für diese Messe zu Ehren Rossinis war der letzte Satz, das Libera me. Es ist ein bedeutender Abschnitt des Werkes, werden hier doch die am Anfang stehenden Abschnitte Requiem aeternam und Dies irae textlich wiederholt. Als dann im Jahre 1873 der von Verdi sehr verehrte Schriftsteller Alessandro Manzini starb, war das für den Komponisten der Anlass, sein Libera me zu einer vollständigen Messa da Requiem mit sieben Sätzen auszuarbeiten, und so hat er, beginnend mit der Reprise, wohl eine der bedeutendsten und großartigsten Totenmessen komponiert, die freilich nicht einem liturgischen Anlass dienen sollte. Erwähnenswert ist auch, dass die Komposition dieses Werkes in eine lange Schaffenspause seiner Opern fiel, nämlich zwischen Aida 1871 und Otello 1887.

Das Werk wurde am 22. Mai 1874 in einer Besetzung von 120 Chorsängern, 100 Orchestermusikern und berühmten Solisten in San Marco in Mailand unter großem Jubel aufgeführt. Doch es gab auch Kritiker wie den deutschen Wagner-Dirigenten Hans von Bülow, der dieses Requiem als eine „Oper im Kirchengewande“ bezeichnete. Immerhin ist das Requiem Verdis einziges kirchenmusikalisches Werk, dem 32 zum Teil große Opern gegenüberstehen. Und auch wenn dieses Werk meist in großen Konzertsälen gespielt wird, beeinträchtigt das nicht die tief empfundene Religiosität, die diese Totenmesse ausdrückt. Doch der musikalische Bezug zur Oper bleibt, insbesondere zu Otello und Don Carlos. Dennoch findet der gläubige, aber kleruskritische Verdi musikalisch in diesem Werk immer wieder zu einer Hoffnung auf Erlösung zurück.

In Gera hat nun dieses großartige Werk an zwei Abenden hintereinander seine Aufführung im wunderschönen Jugendstil-Konzertsaal des Theaters erlebt. Der Opernchor wird verstärkt vom Philharmonischen Chor Gera, von Mitgliedern des Motettenchors Altenburg sowie Studenten der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Ueli Häsler hat diese Besetzung zu einem großen harmonischen Klangkörper formiert, der die Chorstellen klar phrasiert und mit großem Ausdruck formuliert, ohne dass der Chor das Publikum mit seiner Wucht erdrückt. Laurent Wagner am Pult hat vor dem Einsatz lange gewartet, bis im Konzertsaal eine spannungsgeladene, ja fast atemlose Stille herrscht. So beginnt das Requiem aeternam in der Tiefe des Raumes, quasi aus dem Nichts erhebt der Chor flüsternd seine Stimme, während der Mittelteil Te decet hymnus kräftig a capella gesungen wird. Im Kyrie entwickelt sich eine erste dramatische Steigerung mit dem Einsatz der vier Solisten. Großartig die eruptiven Ausbrüche des Chores im Dies irae, mit mächtigen Bläserakkorden aus der Höhe und wuchtigen Schlägen der Trommel. Der Tag der Rache ist der zentrale Teil dieses Werkes, in dem sich Chor und Solisten in unterschiedlicher Zusammensetzung abwechseln. Die Bedrohung durch das Jüngste Gericht wird hier musikalisch erlebbar und körperlich spürbar. Das Dies irae wird dreimal wiederholt, und das Flehen um Erlösung im Himmel wird immer klarer bis hin zur Hoffnung darauf am Schluss dieses Satzes im Lacrimosa, das eine unverkennbare Anlehnung an die Totenklage für Rodrigue in Verdis Don Carlos darstellt. Das Offertorium ist vielleicht der opernhafteste Satz dieser Messe, wunderbar durch eine Cello-Kantilene eingeleitet. Im Sanctus hat der Chor wiederum seinen großen Auftritt, mit einem jubelnden Hosanna in excelsis.

Dazu kontrastiert das folgende Agnus Dei, zunächst a capella von Sopran und Mezzo gesungen, mit finaler Chorbegleitung. Es entstehen unterschiedliche Klangfarben, die dem Zuhörer das Gefühl vermitteln, einer Prozession beizuwohnen. Im Lux aeterna wird der Tod beschrieben, auch hier sind wieder Anklänge an Don Carlos hörbar. Drücken die Streicher anfangs noch die Angst vor dem Tod aus, wandelt sich die Musik nach Dur, und das „ewige Licht“ leuchtet. Wie eine Erlösung klingt hier der Bass. Im abschließenden Libera me werden die Eingangsthemen des Requiem aeternam und Dies irae noch einmal aufgegriffen. Für den Sopran ist es wie eine große dramatische Opernarie im Wechsel mit dem Chor, die mit einer gehauchten Klage endet.

Auch die vier Solisten des Abends tragen maßgeblich zu dem großartigen Gesamteindruck bei. Lucja Zarzycka ist als dramatischer Verdi-Sopran hervorragend besetzt und meistert ihre dramatischen Ausbrüche mit fulminantem Ausdruck und sicheren Höhen. Klingt in den ersten Passagen die Stimme im Forte noch etwas schrill, so wird sie im Verlaufe des Abends weicher. Höhepunkt ist ihr finales Libera me, was sich aus der Hochdramatik zu einem flehenden Piano verwandelt. Chrysanthi Spitadi verfügt mit ihrem warmen und sinnlichen Mezzo-Timbre über ein gutes Stimmmaterial, was sie aber besonders in den dramatischen Stellen nicht immer zur Geltung bringen kann. Man hat fast den Eindruck, dass die Stimmung des Werkes ihr auf die Stimme schlägt. Im Agnus Dei ist sie im A-capella-Duett mit Lucja Zarzycka kaum zu vernehmen. Roman Sadnik gestaltet den Tenor mit lyrischem Ausdruck, doch in den Höhen scheint sich etwas Müdigkeit eingeschlichen zu haben. Vielleicht sind zwei Abende hintereinander mit Proben doch etwas zu viel für die Stimme. Ganz anders dagegen Vazgen Ghazaryan mit fulminantem und ausdrucksstarkem Bass, der an diesem Abend eine beeindruckende Leistung abruft. Schon zu Beginn im Dies irae lässt sein „Mors stupebit…“ aufhorchen.

Generalmusikdirektor Laurent Wagner gestaltet Verdis gefühlsmächtige Totenmusik nicht als sentimentales Totengedenken, sondern mit einem musikdramatischen Spannungsbogen als erschütterndes Seelendrama vom Aufbegehren gegen Schmerz und Leiden, gegen Sterben und Tod, aber auch voller Hoffnung auf Erlösung und Auferstehung. Grundlage für diese geradezu hinreißende Wirkung ist die vorzügliche musikalische Leistung des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera, das leidenschaftlich und empfindungsvoll, aber dennoch präzise und transparent musiziert. Wagner kann die verhaltene Einleitung zum Requiem ganz aus der Stille heraus entwickeln. Und mit den ersten Textworten des Chores, gedämpft geflüstert, beschwört er eine enorme musikalische Spannung herauf, die den Zuhörer bannt und bis zum Schluss in Atem hält. Die Besonderheiten der Akustik des Konzertsaals nutzt Wagner, um daraus großartige Kontraste zu formen, so den eruptiven Tumult und das Getöse im Dies irae, das unmittelbar auf den stillen Einleitungssatz folgt.

Wagner, der das Werk ohne Partitur dirigiert, vermeidet bei aller Deutlichkeit der Kontraste, die er den Musikern abfordert, mit durchweg fließenden Bewegungen jede Schroffheit. Er erreicht die Dramatik seiner Interpretation ganz aus den Möglichkeiten des Klangs, den er im tobenden Fortissimo ebenso auslotet wie in leiser Empfindsamkeit. So folgt auf das letzte flehende „Libera me“ erst eine lange Stille, ehe sich die Spannung in erlösenden und jubelnden Applaus verwandelt. Das Publikum dankt mit minutenlangem lauten Beifall und Jubel.

Die Messa da Requiem eine Oper im Kirchengewand? Die Frage ist nach dieser beeindruckenden Aufführung eigentlich überflüssig.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Stephan Walzl