Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DIE WALKÜRE
(Richard Wagner)
16. November 2013
(Premiere am 7. November 2013)

Grand Théâtre Genève


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Menschenwort und Seelenton

Kinder schafft Neues“, lautet die altbekannte Botschaft Richard Wagners an seine künstlerischen Nachgeborenen. Seit dem Beginn des Jahres 2013, dem 200. Geburtstag des Komponisten steht sein Menschheits-Götter-Opus-Magnum Der Ring des Nibelungen auf den Spielplänen der Opernwelt. An Deutungswut und Bilderfluten vieler Regisseure hat es nicht gefehlt. So präsentiert Mannheim einen Freyer-Ring mit bunten Figuren abstrakter Bildhauerei, in Bayreuth regiert die Mount-Rushmore-Idee von Frank Castorf. Um nur paradigmatisch einige zu nennen.

Die Schweiz hat auch ihre „Ringe“. Nach dem gelungenen konzertanten Ring-Debüt beim Luzerne Festival 2013, ist das Grand Théâtre Genève dabei, eine ganz eigene, eigenwillige Ring-Deutung zu zeigen. Nach dem Rheingold im Frühjahr setzt das Regieteam um Dieter Dorn mit der Walküre fort und besinnt sich in eindringlicher Schlichtheit auf fast Vergessenes: das Erzählen einer tief anrührenden Menschengeschichte.

Das Neue, das Spektakuläre dieser Walküre in Genf ist zudem, dass in die überschäumende Sprengkraft der Musik und Poesie vertraut wird. „Werktreue“ und „Weltinnenraum“ sind die Zauberschlüssel, die auch der musikalische Leser und Interpret Ingo Metzmacher dem Hörer und Schauer an die Hand gibt. Die Walküre wird als großes dialogisches Menschenepos, ja als „Kunstwerk in der Nachreife“ verstanden. Das hat gefehlt, denn das galt bis dato schlichtweg als „unzeitgemäß“.

Dieter Dorn zeigt seine Ring-Porträts mit dem Kamerablick. Es sind nicht nur Charaktere, sondern Menschen mit Einzelschicksalen, die sich begegnen und wieder verlieren. Dorn ist sich bewusst, welch griechische Tragödie und shakespearesche Menschenkunde dem Oeuvre Wagners inne wohnt. Das wirkt groß, vielleicht auch ein wenig versöhnlich.

Jürgen Rose schuf das Bühnenbild und die Kostüme. Der große, nach hinten weit geöffnete Bühnenraum leuchtet in all seiner Schwärze. Als Umrandung, Rahmen des Walküren-Guckkastens ist ein roter Neonfaden sichtbar. Im ersten Aufzug steht ein heller nackter, blankgeputzter Baumstamm in der Mitte der Bühne. Große lange Wurzeln dringen ins Erdreich: Hundings Hütte. Im Hintergrund rollen die drei Nornen, in schwarzes Tuch gehüllt und als Figuren der Götterdämmerung vorweggenommen, eine aus goldenen Fäden gewebte Weltkugel quer durch den Raum. Das goldene Zeitalter ist vorüber. Das Werden hat begonnen.

Auf breiten schroffen Schieferplatten spielt das weitere Geschehen. Am Schluss entrollt sich aus der Höhe ein Feuervorhang. Brünnhildes Felsenschutz, aber auch die Vorwegnahme des kommenden Weltenbrandes. Eine kleine Spielerei ist das schwarze Ross Brünnhildes, Grane. Es wird von Puppenspielern Susanne Foster und Stefan Fichert durch Raum und Zeit geführt.

Dorns Schauspielsänger sind von unterschiedlicher Natur und Bühnenpräsenz. Will Hartmann macht es dem Zuschauer schwer, in ihm einen heldenhaften, tapferen, gar liebessehnenden Siegmund zu entdecken. Zu verloren, zu zaghaft bringt er sich in Szene. Sein Winterstürme wichen dem Wonnemond verlangt mehr Tiefe im Ausdruck, sein Werben um Sieglinde mehr Biss. Sieglinde drückt dem fremden Gast beherzt einen Kuss auf die Lippen, will sagen: Rette mich aus dem Gefängnis, vor der Demütigung Hundings. Sieglinde wird von Michaela Kaune tonschön, mit leichter Brüchigkeit in der Höhe gesungen. Eine nach innen gewandte Sieglinde, die weibliche Leidensfähigkeit mit intensiver Verve gestaltet. Elena Zhidkova gibt eine schöne, kluge, auf ihr Recht beharrende Fricka. Dunkel-satt ihr überzeugender Mezzo beim Ehedisput mit Wotan.

Günter Groissböck ist der Hunding schlechthin. Seine Brutalität, seine tiefschwarze Bassstimme machen aus dem Gegenspieler Siegfrieds und Sieglindes einen der Höhepunkte des Abends. Von ihm wird noch viel gesprochen werden.

Nun zu den überragenden, den eindrucksvollsten Menschenfiguren dieser Walküre. Das ist zum einen Tom Fox, der seinem Wotan mit baritonaler gestalterischer Durchschlagskraft Züge eines leidenden Prometheus verleiht. Ein griechischer Held, ein menschlicher Titan, der am Willen zur Macht in der eigenen Ohnmacht versinkt. Und doch ist er kein Göttervater im mythologischen Sinne. Dorn schildert ihn als Begreifer seiner eigenen Zwänge und Ängste. Durch Brünnhilde erlernt er das Erkennen. Gelangt zum eigenen Selbst.

Brünnhilde, seine Seelenverwandte, wird interpretiert, gelebt von Petra Lang. Sie zeichnet Brünnhilde als ein rebellierendes, aufbegehrendes Menschenwesen. Ihr Verständnis ist aus dem Herzen geboren. Sie liebt bedingungslos, aber nicht willenlos. Langs erstes Hojotoho scheint aus der Tiefe des Raums zu dringen. Ihr vollmundig tönender Sopran birgt beides: einen satten Urgrund als Fundament und flexibel schwingende Höhenlagen. Lang gestaltet aus dem Gesanglichen heraus, ohne Brüche, mit klarer Diktion. Eine großartige Interpretin für Wagners „Zukunftsmusik“.

Die Walküren in Jeansmontur und Reiterstiefel haben einen kurzen, aber prägnanten Auftritt: Katja Levin, Marion Ammann, Lucie Roche, Ahlima Mhamdi, Rena Harms, Stephanie Lauricella, Suzanne Hendrix und Laura Nykänen überzeugen in der gewünschten Dramatik.

Dirigent Ingo Metzmacher erweist sich als kongenialer, hochsensibler Spurensucher und zugleich als umsichtiger Spiritus Rektor, der das hochmotivierte Orchestre de la Suisse Romande durch hochromantische, kammermusikalisch ausgeleuchtete Strukturen leitet. Manchmal vermag das Ohr zarte Debussy-Anklänge, dann wieder zeitgenössisch tönende Aufbrüche wahrzunehmen. Die Walküre als Wegweiser in die Moderne.

In der letzten Vorstellung der Walküre mischten sich auch Gäste aus England – sie waren wegen Tom Fox gekommen, der in diesem Sommer bei den Proms-Konzerten in London als Klingsor im Parsifal bestach – und aus München, der künstlerischen Wirkungsstätte Dieter Dorns. Viele hatten aber auch schon den konzertanten Ring der Luzerner Festspiele erlebt, in dem Petra Lang als Brünnhilde Erfolge feierte. Ein international herausragendes, künstlerisch fesselndes Opernereignis, das innerlich berührt und lange nachhallt.

Im Januar kommenden Jahres folgt der Siegfried, im April die Götterdämmerung. Im Mai sind dann zwei Ring-Zyklen geplant.

Barbara Röder

Fotos: Carole Parodi