Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

UBU
(Sidney Corbett)
14. April 2012
(Uraufführung)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Die Gegenwart ist gleich null

Wer nach dem Titelbild des Programmheftes und dem Erscheinen des mitwirkenden Kinderchores, der zu Beginn der Vorstellung bunt kostümiert in der ersten Reihe sitzt, ein Kinder- und Jugendstück erwartet, hat sich gründlich getäuscht. Nein, auch das mitwirkende MiR-Jugend-Orchester macht aus Ubu kein Kinder- oder Jugendtheater, das frisch und leichtfüßig daher kommt. Obwohl in Frankreich als Schülersatire auf Lehrerfiguren entstanden und vielfach als Jugendstück aufgeführt, wendet sich diese Groteske an ein erfahrenes und wohl informiertes Theaterpublikum. Simone Homem de Mello hat Alfred Jarrys Roman Roi Ubu von 1896 für das Theater bearbeitet und Sidney Corbett hat das Stück vertont. Es spielt ständig auf doppeltem Boden, ist hintergründig vordergründig. Figuren werden als „Persiflage auf Shakespeares Lady Macbeth“ angelegt, der Komponist Corbett und die Librettistin müssen die Absicht von Jarry verdeutlichen, zahlreiche Bezüge und Theaterzitate zur Kommentierung heran ziehen. Leichte Kost ist das Stück nicht, grotesk schon. Es wird überzeichnet, lächerlich gemacht, skurril, absurd und brutal gespielt; ob das einen Sinn haben muss, ist schwer zu sagen. Die Nähe zu Märchen, Mythen und zum Horror erlaubt fast jede Interpretation. Bei Komposition und Text stehen in der Originalfassung Dadaismus und absurdes Theater Pate, und das könnte spannend werden.

Die Gelsenkirchener Fassung der Oper entstand im Auftrag des MiR als Projekt für das Jugendorchester. Die musikalische Leitung hat Clemens Jüngling, hinzu kommt der Gelsenkirchener Kinderchor unter Leitung von Alfred Schulze-Aulenkamp. Kindern und Jugendlichen eröffnet sich hier die Chance, an einer „echten“ Opernaufführung mitzuwirken. Sie spielen gerne und mit Begeisterung und überzeugen die Zuschauer als junge Professionals.

Die Inszenierung von Alexander von Pfeil nutzt viele Möglichkeiten, die eine formal kaum festgelegte Groteske bietet. Mit wenigen Figuren spannt er ein breites Netz von Themen und Problemen, die szenisch angeschnitten und angespielt werden. Zwischen philosophischen Aphorismen über Zeit und in den Bilder von Macht und Gewalt fällt es schwer, eine Linie zu finden.

Gleich zu Beginn nehmen zwei Astronauten-Wissenschaftler die Zuschauer mit auf eine Reise ins Weltall: Zukunft; aus einem imaginären Polen tauchen König und Adlige auf: Vergangenheit; Soldaten treiben ihr mordendes Spiel, Macht wird sinnlos willkürlich eingesetzt: Gegenwart. Die Zeitmaschine rattert, die Reise durch die Zeiten ist erkennbar, das Thema Zeit wird bunt illustriert. Alexander von Pfeil zeigt in grellen Figuren, dass Macht- und Raffgier an keine Zeit gebunden sind, blutrünstige Szenen sind zeitlos platzierbar, dumme Könige und Herrscher austauschbar.

Piero Vinciguerra stattet die Bühne  mit einem großen stahlgrauen Kasten aus, einer Mischung aus Spacelab und Mikrowelle, die unterschiedlich genutzt wird. Diese Astrokonstruktion verbreitet eine kalte, gefühllose Atmosphäre. Die von Katharina Gault entworfenen Kostüme zitieren Raumanzüge, höfische Gewänder der Barockzeit und bunte Phantasiegebilde für die Jugendlichen im Chor. Ubus Kostüme changieren zwischen Zirkusdirektor, Metzger und Clown. Die Bühne schillert bunt in starken Lichteffekten.

Die Musik von Sidney Corbett kann sich aller Opernkonventionen  entledigen. Corbett verarbeitet Klänge  der Romantik und Themen von Bartók ebenso wie Heavy-Metal-Figuren. Entsprechend rhythmusbetont, effektvoll und lautmalerisch klingt die Musik. Statt melodiöser Arien und Orchesterpassagen gibt es vorwiegend rezitativähnliche Klänge, eine Art Sprechgesang. Bariton Michael Dahmen und Mezzosopranistin Almuth Herbst überzeugen als Königspaar in guter gesanglicher Harmonie. Beide ergänzen ihren Gesang durch viel Spielwitz.  Irina Simmes Sopran und Hongjae Lims Tenor passen hervorragend zu ihrer Astronautenrolle, sie geben ihren Figuren etwas Abgehobenes, Außerirdisches und überzeugen in ihrem Zusammenspiel.

Die Figuren sind in aller groben Überzeichnung typisiert und als Individuen nicht erkennbar. Diese musikalische Groteske bietet wenig Originelles, konzeptionell Überzeugendes, braucht sie aber auch nicht. Die Orientierung an der Theatergeschichte mittels Textzitaten macht es eher schwierig, deren Bedeutung zu entschlüsseln und der Inszenierung zu folgen. Ob die Einbindung des Jugendorchesters und des Kinderchores in dieses Stück eine gute Idee ist, bleibt zu bezweifeln. Immerhin hatten die jungen Mitwirkenden ihren großen Spaß und zeigten ihr Können, wofür sich die Zuschauer mit anhaltendem Beifall bedanken.

Horst Dichanz







Fotos: Pedro Malinowski