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Fakten zur Aufführung 

STADT DER 1000 FEUER
(Oliver Augst)
21. Februar 2014
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


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Brave Arbeiter in Reih und Glied

In die 1970-er Jahre zurückversetzt fühlt man sich derzeit im Gelsenkirchener Musiktheater im Revier. Das Themenfeld „Arbeit“ mit seinen historischen und aktuellen Auswüchsen ist Gegenstand eines Bühnenhörspiels für Sprecherchor und vier Solisten, das unter dem Titel Stadt der 1000 Feuer im Oktober in Frankfurt uraufgeführt wurde und jetzt in einer revidierten Fassung in Gelsenkirchen gezeigt wird. Als Komponist wird der Installations-Künstler Oliver Augst genannt, als Librettist der kanadische Autor John Birke. Entstanden ist eine textlastige Collage in sechs Abteilungen unter Verwendung scharfsinniger Beobachtungen aus Bruno Schönlanks in den 1920-er Jahren entstandener Gesellschaftsanalyse Der gespaltene Mensch.

Auch wenn sich das Libretto nicht an die Situation der Arbeiter in früheren Industriezeitaltern klammert, sondern moderne Einflüsse wie die obskure Rolle der Arbeitsagenturen, den Aufschwung von 3D-Druckern, die Ausbeutung von Praktikanten oder die Musik als Arbeitsplatz berücksichtigt; auch wenn die Autoren in ihren Textcollagen keinen Bierernst aufkommen lassen wollen, riecht das Ganze bedenklich nach drögen Agitprop-Events der 1970-er Jahre, in denen verkopfte Studenten Arbeitern ihr hartes Los bewusst machen wollten. Glaubwürdig wirkte das damals schon nicht. Heute nur noch verstaubt, auch wenn nicht seitenlang aus Marx‘ Kapital gelesen wird, sondern die schlimmen Lebensumstände des schwer kranken Analytikers thematisiert werden.

Sechs Kapitel werden aufgearbeitet: Karl Marx, Werkmaschine, Gastarbeiter, Praktikum, Musik und Opferagentur. Wenn das Gastarbeiterproblem auf den Wunsch des millionsten Einwanderers nach einem Moped reduziert wird, zeigt sich, dass trotz der Textfülle der Reflekionsgrad bescheiden ausfällt. Und dem Unterhaltungsfaktor, dem sogar Bert Brecht mit seinem Aufklärungstheater große Bedeutung beimaß, geht es nicht besser.

Das betrifft nicht nur die trockene Inszenierung, sondern auch die ästhetische Aufbereitung. Die 35 Choristen des Musiktheaters dürfen sich in sogenannten „Tonklangbeispielen“ in geringem Maß einklinken und vor allem lautmalerische Aufgaben erfüllen. Mit anderen Worten: Sie bleiben dekorativ drapierte Statisten. Dankbarer fallen die Aufgaben für die vier Solisten aus: Den Performancekünstler Frieder Butzmann, die Sängerin Gina V. D’Orio, den vielseitigen Musiker und bildenden Künstler Sven-Åke Johansson sowie die Elektropop-Musikerin Bernadette La Hengst. Sie präsentieren den Textwust mit unterschiedlich starkem Engagement, teils nüchtern rezitierend, teils expressiv deklamierend, teils inbrünstig singend. Und der Chor zischt und säuselt dazu.

Gehen von dem Solistenpult noch einige vitale Akzente aus, rauben die Autoren mit ihrer Inszenierung dem Ganzen den letzten Rest an Sauerstoff. Brav aufgereiht, in vokalem Gleichschritt deklamierend, verbreiten die in Alltags- und Arbeitskleidung gewandeten Choristen die Spannung eines Morgengebets in einer Nonnenschule. Sie dürfen sich nicht bewegen, die Solisten kleben an ihren Stühlen. Bühnenhörspiel nennt sich das Ganze, wobei ohne jeden Verlust auf die Bühne verzichtet werden könnte.

Das Publikum reagierte freundlich auf den 70-minütigen Text-Klops.

Pedro Obiera

Fotos: Pedro Malinowski