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Fakten zur Aufführung 

SPRING AWAKENING
(Duncan Sheik)
15. März 2013
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Fucking Life

Spring Awakening ist unter den Off-Broadway-Musicals ein Erfolgsstück. Komponist Duncan Sheik und Autor Steven Slater räumten nach der Uraufführung vor sieben Jahren allerlei Preise ab, so etwa acht Tony Awards und einen Grammy. Basierend auf Frank Wedekinds Frühlings Erwachen erzählt es von den Leiden des Erwachsenwerdens, von Jugendlichen, die unter den Repressionen der Erwachsenenwelt leiden, von Lust und Frust der erwachenden Liebe. Ein scheinbar zeitloser Stoff, denn Generationenkonflikte werden beständig weitervererbt. Doch – und darin liegt das Grundproblem des Stücks – so zeitlos ist das Ganze nicht. Steven Slaters Text orientiert sich stark an der literarischen Vorlage. Eine Gruppe Jugendlicher um das Mädchen Wendla Bergmann und den Jungen Melchior Gabor macht im Zeitalter des Wilhelminismus erste Erfahrungen mit der Liebe. Zudem leiden die Heranwachsenden unter der Erziehung und den Moralvorstellungen ihrer Elterngeneration. Für Wendla, die ungewollt schwanger wird und während der Abtreibung stirbt, und den Schulversager Moritz Stiefel, der Selbstmord begeht, endet die Geschichte tödlich.

Die Inszenierung von Wolfgang Türks setzt hier punktgenau an und erzählt die Geschichte mit Blick auf die bürgerliche Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Damit aber geht die Unmittelbarkeit des Bühnengeschehens verloren; immerhin richtet sich Spring Awakening an ein gegenwärtiges Publikum. Dass die Frau werdende Wendla Bergmann zwar nicht mehr an den Klapperstorch glauben möchte und trotzdem nicht weiß, wo die Babys herkommen, kann wohl kaum einen multimedial abgeklärten Jugendlichen des 21. Jahrhundets, der mit seinen Kumpels auf dem Schulhof via Smartphone You Porn-Videos tauscht, ernsthaft berühren. Anstatt die Probleme Jugendlicher beim Erwachsenwerden vom Hier und Jetzt einer übersexualisierten Welt aus zu denken und zu hinterfragen, konfrontiert Spring Awakening sein Publikum mit einer Vergangenheit, die fast 50 Jahre nach der sexuellen Revolution der Achtundsechziger so nicht mehr funktioniert. Regisseur Türks vermag diesen Gordischen Knoten nicht aufzulösen. Und so tritt das Ensemble im Gewand aus Uropas Zeiten auf. Was berühren und zum Nachdenken anregen sollte, wirkt doch recht altbacken. Da bildet lediglich Beata Kornatowskas funktionales Bühnenbild eine rühmliche Ausnahme.

Immerhin ist es eine Freude, dem Nachwuchs zuzuhören und zuzusehen. Bis auf Christa Platzer und Daniel Berger, die sämtliche Erwachsenenrollen spielen, treten ausschließlich Studierende der Folkwang Universität der Künste auf. Herauszuheben sind vor allem Sandra Pangl als Wendla Bergmann, Léonie Thoms als Martha, Julian Culemann als Melchior Gabor und Angelo Canonico als Moritz Stiefel.

Anstelle der Neuen Philharmonie Westfalen spielen unter der Leitung von Patricia Martin ausschließlich Absolventen der Folkwang Universität der Künste, die Duncan Sheiks rockig-poppige Musik gefällig umsetzen. Gerade im Kleinen Haus des MiR mit seiner intimen Atmosphäre sicherlich eine Herausforderung, der die Musiker wie ihre Sängerkollegen durchaus gewachsen sind.

Das Publikum feiert Musiker und Darsteller enthusiastisch. Dass hier viele Angehörige applaudieren, soll aber die gute Leistung des Folkwang-Nachwuchses nicht mindern.

Sascha Ruczinski





Fotos: Pedro Malinowski