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Fakten zur Aufführung 

ON THE TOWN
(Leonard Bernstein)
1. Februar 2014
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


Points of Honor                      

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Mit Swing durch die große Stadt

Der zweite Weltkrieg bedeutete in vielerlei Hinsicht eine Zäsur. In der amerikanischen Musikgeschichte steht diese Zäsur für den Übergang vom klassischen zum modernen Jazz. In den 1940-er Jahren entwickelten Charlie Parker, Dizzy Gillespie und ein paar weitere Musiker in New York den Bebop. Der neue Stil mit der Einführung der „flatted fith“ in der Harmonik und seiner nervösen Rhythmik löste den Glanz vorheriger Musik ab – die große Zeit des Swing war endgültig Vergangenheit. Davon ungerührt ging der Showbetrieb am Broadway seine üblichen Wege: „The show must go on.“ Das gilt – musikalisch betrachtet – auch für Leonard Bernsteins Musicalerstling On the Town aus dem Jahr 1944. Die Geschichte um die drei Matrosen Gabey, Chip und Ozzie, die für einen Tag Landgang haben, bevor ihr Schiff gen Europa in den Krieg zieht, kommt musikalisch gänzlich ohne die damalige Avantgarde aus. Bernsteins Erfolgsrezept besteht in der Verschmelzung klassischer Musik europäischer Tradition mit Elementen des klassischen Jazz.

24 Stunden haben die drei Freunde Zeit, die Stadt zu erkunden; vor allem aber, um beim weiblichen Geschlecht zu landen. Erstaunlich, dass die flotte Geschichte Raum lässt, unterschiedliche soziale Räume auszuloten. Während die Anthropologin Claire, bei der Ozzie landet, die Upper Class repräsentiert, macht Chip Bekanntschaft mit der Taxifahrerin Hildy, die ein winziges Appartement mit ihrer Freundin Lucy teilen muss. Gabey träumt von Ivy Smith, die Miss U-Bahn des Monats – beide stehen für den American Dream, den Traum von Selbstverwirklichung. Das Stück beinhaltet durchaus Raum für Gesellschaftskritik – spart aber den signifikantesten Konflikt seiner Zeit aus, nämlich die Diskriminierung der Afroamerikaner durch die weiße Mehrheitsgesellschaft; dafür bleibt in der Scheinwelt des Broadway genauso wenig Platz wie für den Krieg, vor dessen Realität nicht nur die drei Matrosen während ihres Landgangs fliehen, sondern auch das Publikum im Adelphi Theatre, in dem On the Town im Dezember 1944 uraufgeführt wurde.

Bernsteins Musical besitzt keine zentrale Figur. Es sind die drei Matrosen und die drei Frauen, die ihnen begegnen, die die Geschichte von On the Town gleichberechtigt tragen. Dem folgt Carsten Kirchmeiers Inszenierung szenischer Miniaturen, die mit Gefühl, Humor und Tempo miteinander verknüpft werden. Den roten Faden bildet der Ort, an dem sich alles abspielt, die Großstadt schlechthin – New York. Das von Jürgen Kirner geschaffene Bühnenbild besteht vornehmlich aus gestapelten Kisten unterschiedlicher Größe, die eine abstrakte Skyline bilden. Auf ihnen wird bei Bedarf Großstadtfassade projiziert. Durch wechselnde Anordnungen oder das Hinzufügen anderer Requisiten verwandelt sich die Bühne mal in eine U-Bahn, mal in einen Nachtclub. Den Gegenpol dazu bieten Renée Listerdals auf Authentizität zugeschneiderte Kostüme.

Piotr Prochera als Gabey, Michael Dahmen als Chip und E. Mark Murphy als Ozzie überzeugen als die drei Matrosen mit viel Witz und Spielfreude ebenso wie Julia Schukowski als Ivy. Übertroffen wird dieses gut aufgelegte Quartett von Judith Jakob als Hildy und Dorin Rahardja als Claire, die auf unterschiedliche Weise aus dem Ensemble herausragen: Rahardja mit ihrem makellosen Sopran und viel komischem Talent, Jakob mit ihrer energiegeladenen Performance, mit der sie das Publikum bereits in Cabaret begeistern konnte. Auch kleinere Partien wie die Gesangslehrerin Madame Dilly mit Noriko Ogawa-Yatake oder Richter Pitkin mit Joachim G. Maaß sind gut besetzt. Ebenfalls zum Einsatz kommt das Ballett im Revier und versprüht in der Choreographie von Bridget Breiner viel Showbiz-Flair. Die Neue Philharmonie Westfalen spielt unter der Leitung von Rasmus Baumann Leonard Bernsteins Musik flüssig und beschwingt.

Mit On the Town gelingt dem Musiktheater im Revier innerhalb derselben Spielzeit nach Cabaret eine weitere erfolgreiche Musicalproduktion. Die Mischung aus kurzweiliger Unterhaltung und gefühlvollen Momenten überzeugt durch gutes Timing und gelungene Regieeinfälle. Mit Michael Dahmen, Judith Jacob, E. Mark Murphy und Joachim G. Maaß spielen gleich vier Ensemblemitglieder des Hauses in beiden Produktionen mit. Das Publikum zeigt sich durchweg begeistert und honoriert die Premiere zum Teil mit Standing Ovations.

Sascha Ruczinski





Fotos: Thilo Beu