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Fakten zur Aufführung 

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
17. November 2012
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


Points of Honor                      

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Hochzeit mit Panne und erstklassiger Musik

Bei Hochzeitsvorbereitungen geht manchmal im letzten Augenblick noch etwas schief, stellt Intendant Michael Schulz vor der Premiere von Figaros Hochzeit fest und leitet so die Ansage für die erkältete Anke Sieloff ein. Die anwesenden Gäste sind aber eher irritiert über die Stilkombinationen der Hochzeitsgesellschaft. Mit Blick auf die Fotos erwartet man angesichts von Rokoko-Perücken und 1960er-Jahre Kleidung fast eine Rock-Oper. Doch es stellt sich heraus, dass die Kostüme von Uta Meenen immerhin zum Schreien komisch, teilweise aber auch sehr kleidsam sind und Standesunterschiede deutlich machen. Die Inszenierung von Peter Hailer geht dabei viel ruhiger zu Werke und lässt den Sängern oftmals sehr, sehr viel Ruhe und Zeit, ihre Arien und Ensembles zu singen. Ein wenig vermisst man, dass sich die Spritzigkeit der Dialoge, die zudem auch immer etwas gekürzt werden, nicht auf der Bühne widerspiegeln. Aber Peter Hailer hat trotzdem etwas über das Grafenpaar zu erzählen, das in den holzgetäfelten Wänden von Etienne Pluss residiert.

Der Graf muss ziemlich überfordert zusehen, wie seine Untergebenen sich verselbstständigen, und die Männer schieben sich immer recht deutlich vor die Frauen, wenn der Graf ihnen zu nahe kommt, und eine Chordame streichelt sich sehr zufrieden über den leicht gewölbten Bauch. Dadurch dass die Bühne nie zugestellt und mit Bewegung überfrachtet wird, kann man auch eine ganze Menge erkennen. Manches wirkt in seiner Schlichtheit aber auch fast hilflos, etwa das Dove sono, wenn die Gräfin die ganze Zeit auf einem Stuhl sitzen muss, oder der Hochzeitsmarsch, wenn sich Graf und Gräfin einen stummen Blickkampf liefern. Andererseits trägt der Regisseur auch nie zu dick auf, was besonders die Wiedererkennungsszene zwischen Figaro und seinen Eltern sehr erträglich macht. Besonders gut gelingt dem Regieteam ausgerechnet der so schwierig zu inszenierende vierte Akt: Verschieden zugeschnittene Büsche zieren die Bühne für ein lebendiges Versteckspiel – sowohl darum herum als auch in dem Blättterwerk. Dank der Beleuchtung von Patrick Fuchs kann man schön erkennen, wann sich jemand darin aufhält. Der Garten scheint zu leben und nimmt immer wieder neue Formen an.

Noch besser gelingt die musikalische Untermalung dieser Hochzeit, und einen großen Anteil daran haben die Neue Philharmonie Westfalen und der junge Erste Kapellmeister Valtteri Rauhalammi. Die Ouvertüre ist geradezu exemplarisch gespielt, danach zeigen die Musiker zunächst noch ein paar Unsicherheiten in der Sängerbegleitung, um sich dann über den ersten Akt wieder in Höchstform zu spielen. Besondere Leistungen vollbringen die Streicher und Holzbläser, die Rauhalammi auch von seiner Körperausrichtung etwas bevorzugt. Der von Christian Jeub einstudierte Chor zeigt seine Zweifel am Adel in stimmlicher Klasse und steht symptomatisch für eine gute Mozart-Pflege im Ensemble mit nur ganz kleinen Abstrichen. Wann hat man beispielsweise je einen so schön singenden Don Curzio gehört? Sun-Myung Kim ist derzeit Student an der Folkwang-Hochschule in Essen und, wenn der kurze Eindruck nicht täuscht, ein riesiges Talent mit einem wunderschönem Timbre. Dorin Rahardja singt eine fesche Barbarina, während E. Mark Murphy als Basilio etwas blass bleibt.

Dong-Won Seo macht mit kräftigen Basstönen sehr deutlich, warum Sevilla den Doktor Bartolo kennen muss. Seine Marcellina ist bei der spielfreudigen Almuth Herbst in den besten Händen. Anke Sieloff singt ganz tapfer gegen ihre Indisposition an. Stimmlich ist sie als Cherubino sogar noch glaubwürdiger als ihre Maske, in der sie noch etwas zu weiblich wirkt. Keinen wirklich guten Abend erwischt Petra Schmidt als Gräfin. Einige deutliche Unsicherheiten im Text und in der Intonation werden sich im Laufe der nächsten Vorstellungen wieder beheben. Michael Dahmen spielt den Graf eine Spur zu wenig aristokratisch, was aber auch zur Inszenierung passt. Sein heller Bariton benötigt noch etwas mehr Sitz auf dem Körper, aber insgesamt liefert das Ensemblemitglied eine sehr gute, stimmlich sehr geschmackvolle Leistung ab. Piotr Procheras kerniger Bariton hebt sich stimmlich gut von ihm ab, spielt und singt den aufsässigen Figaro mit selbstbewusstem Habitus. Und wieder einmal ist es Alfia Kamalova, die mit einer sensationellen Leistung den Abend krönt. Ihre Susanna hat Weltklasseformat; so schön ausgeglichen und lyrisch geformt, dabei stets beseelt im Ausdruck hört man diese Rolle nicht oft.

Das Publikum präsentiert sich als 08/15-Hochzeitsgesellschaft. Es gibt einen engen Freundeskreis, der begeistert jubelt. Und es gibt die etwas gelangweilte Verwandtschaft, die pflichtbewusst klatscht. In der Pause ist vor allem das verlorene Bundesligaspiel gegen Leverkusen ein Thema. Gelsenkirchen ist halt Schalke. Einige übersehen, dass das Musiktheater mit dieser Leistung vor allem musikalisch ganz nahe an der Champions League steht.

Christoph Broermann

Fotos: Pedro Malinowski