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Fakten zur Aufführung 

LADY MACBETH VON MZENSK
(Dmitri Schostakowitsch)
9. Februar 2013
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


Points of Honor                      

Musik

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Gewalt gegen Gewalt

Am 17. Dezember 1953 erlebte das wohl persönlichste Werk Dmitri Schostakowitschs seine Uraufführung. In seiner 10. Sinfonie verarbeitete der Komponist die Schreckensherrschaft Josef Stalins, der im März desselben Jahres verstorben war. Mit dem Tod des Diktators endete ein jahrelanges Martyrium Schostakowitschs. 18 Jahre, bevor der Komponist mit seiner 10. Sinfonie mit dem Despoten abrechnete, hatte Stalin eine Vorstellung der Lady Macbeth von Mzensk vorzeitig verlassen. Die zweite Schostakowitsch-Oper wurde einen Monat später in dem berüchtigten Prawda-Artikel Chaos statt Musik verrissen, was die Karriere des sowjetischen Vorzeigekomponisten nachhaltig beschädigte; mehr noch, der Komponist musste in einer Zeit propagandistischer Schauprozesse, Verbannungen und politisch motivierter Hinrichtungen um sein Leben fürchten. In der Folge litt Schostakowitsch unter Depressionen – ein Schmerz, der in vielen seiner Werke, vor allem in den Sinfonien und Streichquartetten, zum Ausdruck kommt.

Lady Macbeth von Mzensk erzählt die Geschichte der Katerina Ismailowa, die unglücklich mit dem Kaufmannssohn Sinowi Ismailow verheiratet ist. Als sie während einer Reise ihres Mannes mit dem Wüstling Sergej ein Verhältnis anfängt, beginnt ein mörderisches Spiel: Nachdem ihr Schwiegervater Boris Ismailow das Verhältnis entdeckt und Sergej auspeitschen lässt, vergiftet sie den Familienpatriarchen. Gemeinsam mit ihrem Geliebten bringt sie den ungeliebten Ehemann um und heiratet Sergej. Doch der Mord fliegt auf; beide werden zu lebenslänglicher Zwangsarbeit nach Sibirien verbannt. Auf dem Weg dorthin wendet sich Sergej von Katerina ab und beginnt ein Verhältnis mit der Mitgefangenen Sonjetka. Die gedemütigte Katerina bringt Sonjetka um und findet selbst den Tod.

Vordergründig ein Kriminalfall, legt Lady Macbeth von Mzensk die Rollenverteilung der Geschlechter in einer patriarchalischen Gesellschaft schonungslos offen. Katerinas einzige Möglichkeit gesellschaftlichen Aufstiegs liegt in der Heirat mit Sinowi, der sich als Waschlappen erweist. Ansonsten schwebt die Macht männlicher Herrschaft über allem, einerseits in der Dominanz Boris Ismailows, andererseits in der von MiR-Intendant Michael Schulz eindringlich inszenierten Vergewaltigung der Köchin Axinja. So wie bei Schostakowitsch und dessen Librettisten Alexander Preis angelegt, ist Katerina in Schultz’ Inszenierung trotz ihrer Morde die einzige positiv besetzte Identifikationsfigur. Ihr Handeln ist vielmehr als emanzipatorischer Ausbruchsversuch zu sehen. Das zeigt sich gerade in ihrer Sexualität, in der sie als einzige Figur selbstbestimmt handelt, während Sergej lediglich triebgesteuert – bis hin zur Vergewaltigung – agiert. In dem großartig funktionalen Bühnenbild Dirk Beckers erschafft Schulz immer wieder Bilder, in denen er die genormten Geschlechterrollen hinterfragt. Vor diesem Hintergrund sind die Protagonisten stets zerrissene Wesen, die sich – vor allem in der Anti-Fidelio-Szene beim Gefangenentransport – nicht aus ihren Rollenschemata zu befreien wissen, sondern sich stattdessen im Kreis drehen. Auch wenn Schulz es mit seinen derb-grotesken Einfällen bei den Sex-Szenen hin und wieder übertreibt, ist die Regie insgesamt zu loben. Beim Auftritt der Polizei im dritten Akt bleibt gar noch Platz für einen satirisch Seitenhieb auf Stalin.

Eine gute, überdurchschnittliche Ensembleleistung trägt die Inszenierung. Anfangs klingt Yamina Maamar als Katerina Ismailowa noch seltsam blechern, doch steigert sich ihr Sopran von Szene zu Szene. Sie gewinnt der Katerina in Darstellung und Gesang viele Facetten ab, bis hin zu einem zerbrechlichen Piano, mit dem das Tragische der Anti-Heldin im vierten Akt deutlich zu Tage tritt. Tomas Möwes verleiht dem despotischen Patriarchen Boris Ismailow durch klar akzentuierten Gesang und dominantes Auftreten die nötige Autorität, stellt aber auch dessen Schwächen als alternder Mann, der seine Schwiegertochter heimlich begehrt, überzeugend dar. Hongjae Lim als Sinowi Ismailow bleibt da im Vergleich etwas blass. Auch wenn die Rolle die eines Schwächlings ist, kann der Gesang durchaus mehr Pep vertragen. Lars-Oliver Rühl wiederum ist die Rolle des Sergej wie auf den Leib geschrieben. Im Gesang ohne Schwächen kann der für seine Spielfreude bekannte Tenor als rücksichtsloser Wüstling sprichwörtlich „die Sau raus lassen“. Auch die Nebenrollen sind ausgezeichnet besetzt.

Unter der Leitung von Rasmus Baumann spielt die Neue Philharmonie Westfalen Schostakowitschs Musik auf höchstem Niveau. Sowohl die suggestive Kraft, die in dem Libretto der Oper steckt, als auch die leisen Momente werden spannungsvoll herausgearbeitet. Schostakowitsch war ein Meister darin, den Klangfarbenreichtum jeder Instrumentengruppe optimal zu nutzen. Das wird in Gelsenkirchen großartig umgesetzt. Auch der von Christian Jeub einstudierte Chor zeigt sich von seiner besten Seite, überzeugt durch kraftvollen Gesang und einer gewohnt vielseitigen Darstellung.

Das Publikum dankt die rund dreistündige Darbietung mit Applaus, hat aber lediglich für Yamina Maamar und Rasmus Baumann „Bravo“-Rufe übrig – für Gelsenkirchener Verhältnisse etwas zurückhaltend. Dieser gelungene Opernabend hätte durchaus mehr Begeisterung verdient.

Sascha Ruczinski





Fotos: Karl Forster