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Fakten zur Aufführung 

JENUFA
(Leoš Janáček)
22. März 2014
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


Points of Honor                      

Musik

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Keine ländliche Idylle

Das Motiv der Kindsmörderin erreichte in der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts eine große Popularität. Der gesellschaftliche Hintergrund lag in der Schande, die junge, unverheiratete Frauen traf, die ein unehelich gezeugtes Kind zur Welt brachten. Um nicht von der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden, brachten viele Frauen ihr Kind heimlich zur Welt und töteten es aus Verzweiflung. Das wohl bekannteste Beispiel für die literarische Verarbeitung dieses Problems liefert die Gretchentragödie in Johann Wolfgang von Goethes Faust. Leoš Janáčeks Jenufa, basierend auf dem Theaterstück von Gabriela Preissova, nimmt sich dieser Thematik ebenfalls an, verlegt den Mord aber von der Kindsmutter Jenufa auf deren Ziehmutter, der Küsterin Buryja.

Jenufa steht zwischen den beiden Halbbrüdern Stewa und Laca. Sie will Stewa, von dem sie schwanger ist, heiraten. Laca liebt Jenufa, von der er zurückgewiesen wird. Er verletzt sie mit einem Messer im Gesicht. Die entstellte Jenufa wird von Stewa verlassen und bringt das gemeinsame Kind heimlich zur Welt. Die Küsterin bringt das Kind um, damit Jenufa der Schande entgeht, und erzählt ihrer Ziehtochter, das Kind sei auf natürliche Weise gestorben. Jenufa willigt ein, Laca, der sie immer noch liebt, zu heiraten. Kurz vor der Hochzeit wird der Leichnam von Jenufas Kind gefunden. Die Küsterin gibt die Tat zu. Laca steht weiterhin zu Jenufa.

MiR-Intendant Michael Schulz nähert sich diesem Familiendrama in der mährischen Provinz mit nüchternem Realismus. Eine Guckkasten-Bühne wandelt sich vom Kornspeicher im ersten Akt zur schmucklosen Wohnstube der Küsterin im zweiten Akt. Im dritten Akt bleibt sie leer. Das von Kathrin-Susann Brose gestaltete Bühnenbild zeichnet sich durch Schlichtheit aus. Lediglich die von christlicher Symbolik geprägten Bilder, die in der Wohnung der Küsterin hängen, bilden hier eine Ausnahme. Jeder Akt zeigt zudem eine andere Jahreszeit. Der erste Akt, der Stewa und Jenufa noch als lebenslustiges Paar zeigt, spielt im Sommer. Der zweite Akt, in dem Jenufa, von Stewa verlassen, das gemeinsame Kind zur Welt bringt, das die Küsterin schließlich umbringt, spielt im Winter. Von Tauwetter geprägt ist der dritte Akt, der nicht nur das Verbrechen der Küsterin, sondern auch dessen Umstände zu Tage fördert: Nicht nur die Küsterin, auch Stewa trifft der Bannstrahl der Dorfgemeinschaft. Bleibt das Bühnenbild reduziert, spiegelt sich das Ländliche in den von Renée Listerdal entworfenen Kostümen. Michael Schulz zeichnet die Figuren mit viel Empathie. Darin folgt er der Logik Janáčeks, der nicht Gut und Böse schroff gegenüberstellt, sondern das Personal der Oper menschlich zeigt: menschliche Stärken und menschliche Schwächen gehen ineinander über. Einzig der dramatische Konflikt wirkt aus heutiger Perspektive seltsam fremd, denn spätestens mit dem gesellschaftlichen Wandel in den späten 1960-er Jahren haftet dem unehelich zur Welt gebrachten Kind kein Makel mehr an. Im Zeitalter von Empfängnisverhütung und Patchwork-Familien ist der Blick auf Jenufas Schicksal ein Blick in die Vergangenheit.

Petra Schmidt zeigt in ihrer Darstellung der Titelpartie überzeugend die Wandlung Jenufas vom lebenslustigen Landmädchen zur durch die uneheliche Geburt und deren Folgen gezeichneten Frau. Ihr Gesang ist von einer sauberen Stimmführung gekennzeichnet. Allerdings vermag sie zumindest im ersten Akt nicht, gegen das Orchester anzusingen und wird von diesem oft übertönt. Gudrun Pelker zeigt die Küsterin in ihrer ganzen Härte. Entsprechend gestaltet sie die Rolle nicht nur mit durchweg ernstem, fast erstarrtem Gesichtsausdruck, sondern auch mit durchdringender Stimme. Lars-Oliver Rühl überzeugt als sorgloser, dem Alkohol zugeneigten Stewa, der seine Liebe zu Jenufa aufgrund der Entstellung verlässt und für sein Kind keine echte Verantwortung zeigt. William Saetre verleiht dem Laca eine Naivität, die erklärt, warum diese seltsame Figur Jenufa zwar verletzt, aber die Frau bis zum Schluss liebt, so dass sie ihn schließlich heiratet. Auch gesanglich weiß Saetre zu überzeugen.

Es ist Janáčeks Musik, die nicht nur das dramatische Fundament für Jenufa liefert, sondern auch – beeinflusst von tschechischer Volksmusik – die musikalische Sprache spricht, die das Leben der Menschen, die das Personal für die Oper bilden, spürbar macht. Die Neue Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Rasmus Baumann trägt diese Stimmung mit großer, sinfonischer Geste vor. Auch der Chor unter der Leitung von Christian Jeub trägt zum Gelingen dieses Opernabends bei.

Das Publikum feiert Ensemble, Orchester und Regieteam enthusiastisch. Vor allem Gudrun Pelker wird für ihre Darstellung der Küsterin gebührend gefeiert.

Sascha Ruczinski





Fotos: Pedro Malinowski