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Fakten zur Aufführung 

GROßSTADT-TRIPTYCHON
(Stefan Wolpe, Edmund Nick,
Kurt Weill)
29. Januar 2012
(Premiere)

Musiktheater im Revier,
Gelsenkirchen


Points of Honor                      

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Das fünfte Rad am Wagen

Die 20-er Jahre erleben derzeit eine Renaissance. Der Stummfilm The Artist von Michel Hazanavicius ist zehnmal für die Oscars nominiert worden. In Woody Allens Midnight in Paris wird Owen Wilson bei seinen nächtlichen Streifzügen ins Paris der „Roaring Twenties“ versetzt. Und der Diogenes-Verlag hat im Herbst eine Neuübersetzung von Zelda Fitzgeralds Ein Walzer für mich vorgelegt, ein Roman, dessen Protagonistin eine Leidenschaft für das Ballett entwickelt.

Großstadt-Triptychon lautet der Name des Abends, mit dem Bridget Breiner, die ab der kommenden Spielzeit die Nachfolge von Bernd Schindowski als Ballettdirektorin am Musiktheater im Revier antritt, drei in den späten 20-er Jahren entstandene Stücke inszeniert. Mit Zeus und Elida von Stefan Wolpe, Leben in dieser Zeit von Edmund Nick und dem Mahagonny-Songspiel von Kurt Weill verbindet Breiner beide Kunstformen, Oper und Ballett.

So legitim es ist, Musik- und Tanztheater miteinander zu verschmelzen, so unbefriedigend ist beim Großstadt-Triptychon das Ergebnis. Trotz einiger guter Einfälle der Choreographin und einer durchweg überzeugenden Performance der Compagnie wirkt der Ballettpart häufig wie das fünfte Rad am Wagen. Die auf der Bühne agierenden Sänger reichen eigentlich aus. Zudem passt das Konzept, die Stücke in den zeitlichen Kontext ihrer Entstehung zu verorten, nur bedingt. Was in Zeus und Elida funktioniert, bekommt den anderen Stücken weniger gut. Die Themen, um die sich Leben in dieser Zeit – die Vereinsamung des Einzelnen im Moloch Großstadt – und das Mahagonny-Songspiel – das unmenschliche Antlitz des Kapitalismus – drehen, sind eigentlich zeitlos, vermögen es aber nicht, sich aus dem Kontext der 20-er Jahren zu lösen. Vor allem im Mahagonny-Songspiel unterwirft sich Breiner buchstabengetreu den Brechtschen V-Effekten – das ist so, als wenn man heutzutage eine Oper von Jean-Baptiste Lully nach den ästhetischen Regeln des Barock in Szene setzen würde.

Herausragend ist das von Jürgen Kirner geschaffene Bühnenbild, das vor allem in Leben in dieser Zeit einen hohen Abstraktions- und Funktionsgrad erreicht. Von Kirner stammen auch die Kostüme, mit denen Tänzerinnen und Sängerinnen in waschechte Flapper mit Topfhut und Charlestonkleid verwandelt werden. Auch die Herren erscheinen im Gewand der „Roaring Twenties“.

Tomas Möwes überzeugt in Zeus und Elida als Göttervater Zeus, der sich auf dem Potsdamer Platz nur schwer zurechtfindet, aber kraft seiner Stimme noch einen Rest Autorität besitzt. Alfia Kamalova bewältigt den von schwierigen Intervallsprüngen geprägten Part der Elida spielerisch und verleiht der Rolle auch dank ihrer anmutigen Stimme die richtige Prise Koketterie. Schade nur, dass die Sopranistin phasenweise vom Orchester übertönt wird. Das passiert auch Joachim G. Maaß als Staatsanwalt, dessen sonorer Bass in Leben in dieser Zeit und im Mahagonny-Songspiel zur gewohnten Geltung kommt. Lars-Oliver Rühl und Christa Platzer geben Herrn Schmidt und der Chansonette in Leben in dieser Zeit viel Tiefe. Dabei baut Platzer vor allem im Piano viel Spannung auf. Dass Maaß, Rühl und Platzer in diesem Stück elektronisch verstärkt werden, erschließt sich nicht ganz. Opernsänger sollten auf einer Opernbühne in der Lage sein, ohne Mikrophon zu singen – im Mahagonny-Songspiel singen sie schließlich ohne Mikrophon und bilden mit William Saetre, Rafael Bruck und erneut Alfia Kamalova einen gut harmonierenden Klangkörper.

Unter der Leitung von Clemens Jüngling bewältigt die Neue Philharmonie Westfalen die schwierige Partitur von Zeus und Elida mühelos, einzig die schon erwähnte Abstimmung mit Alfia Kamalova und Joacim G. Maaß bezüglich der Dynamik müsste noch verbessert werden. Leben in dieser Zeit und das Mahagonny-Songspiel bereiten dem Orchester keinerlei Probleme. Der von Christian Jeub einstudierte Chor zeigt sich von seiner besten Seite.

Das Publikum reagiert mit lethargischem Applaus. Lediglich die Compagnie wird mit etwas enthusiastischem Jubel bedacht – vielleicht aus Solidarität, denn der Großteil der Tänzerinnen und Tänzer, die im Großstadt-Triptychon auf der Bühne stehen, werden der Compagnie in der kommenden Spielzeit nicht mehr angehören. Via Internet sucht das Haus seit Ende November nach neuen Tänzern.

Sascha Ruczinski

 

Fotos: Pedro Malinowski