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Fakten zur Aufführung 

DON CARLO
(Giuseppe Verdi)
22. Dezember 2012
(Premiere)

Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Nach der Premiere

Stephan Märki wird Intendant am Konzert Theater Bern. Vorher hat er in Gelsenkirchen noch Don Carlo inszeniert. Er erzählt, was ihn bei der Regie bewegt hat (4'05).


 

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Im Wendekreis des Kreuzes

Stephan Märkis Neuinszenierung des Don Carlo am MiR beginnt vielversprechend. Wie eine Heilige steht Elisabeth von Frankreich dem spanischem Prinzen Don Carlo gegenüber. Als dessen Vater Philipp sie für sich auswählt, wird sie ihres weißen Kleides beraubt und in die starre Hoftracht gesteckt. Anna Eiermanns Kostüme symbolisieren im strengen schwarz die uniformierte Hoffnungslosigkeit des Systems. Nur wenige Figuren, wie Rodrigo oder Carlo brechen daraus aus, indem sie sich durch Schnitt und versteckten weißen Farben abheben. Auch Eboli hat zunächst ihren eigenen eleganten Stil.

Nach fulminantem Start flaut die Intensität der Szene zunächst etwas ab, die Zeichnung der Figuren bleibt konventionell, die Bewegung auf der Bühne grenzt ans Statische. Irritierend ist der königliche Herold, der hier die Funktion eines Hofnarren übernimmt, mit seinem permanent erigierten Stoffpenis am Kostüm. Während der ersten Akte gibt es Gelegenheit, den kalten Bühnenkasten von Sascha Gross zu betrachten. Keinen Winkel gibt es hier, wo man sich verstecken kann, allzu glatt die grauen Mauern. Der Bühnenboden ist in hohen, stolpergefährlichen Stufen angehoben. Eine rechteckige Ausbeulung in der Bühnendecke deutet das zentrale Symbol der Inszenierung an: Das Kreuz ist schon in den eisernen Vorhang geschlitzt, und in den Händen der Inquisition eine Waffe für Vergebung und Tod gleichermaßen. Besonders pervertiert wird das im Aufeinandertreffen von König und Großinquisitor, der als gegeißelter Jesus auftritt und sein Kreuz wie einen Speer gegen den König schwingt. Diese Szene markiert auch einen Aufschwung in der Inszenierung, die nun an Intensität gewinnt und bis zum Schluss spannend bleibt. Am Ende ist von der Hoffnung auf Gedankenfreiheit nichts übrig, wenn Carlo in einer Gruft endet. Selbst das weißgewandete Mädchen, das zwischen den Leichen umherspringt und den Abend als ein weiteres Symbol durchzogen hat, besitzt nun nichts Hoffnungsvolles mehr, sondern ist nur noch Gegensatz zum strengen System der Inquisition. Kindliche Unschuld, die erreicht wird durch die Angst der Erwachsenen – das lässt gedanklichen Raum für Systeme von heute.

Raum für Hoffnung und Liebe zwischen all den politischen Systemen, den gibt es an diesem Abend nur in der Musik. Was die Neue Philharmonie Westfalen bei der Premiere leistet, entfacht auf jeden Fall Begeisterung für Verdi. Zuweilen verwechselt Dirigent Rasmus Baumann italienische Dramatik mit brachialen Dezibel, doch diese schinden durchaus Eindruck. Außerdem wissen die Musiker auch im rasiermesserscharfen Piano Spannung zu erzeugen. Es werden alle Voraussetzungen für die italienische Oper erfüllt: Rasante Aufschwünge, geheime Sehnsüchte in lyrischen Melodien, markerschütternde Sforzandi – kurzum: ein großartiger Abend. Rasmus Baumann hat den großen Apparat der Musiker im Griff, holt einige Ausreißer auf der Bühne mit kurzen Gesten sofort zurück in Reih und Glied.

Auf der Bühne finden sich Sängerpersönlichkeiten: Das beginnt mit Alfia Kamalova, deren kurzer Part als wunderschöne Stimme vom Himmel ausgeweitet wurde zur weißgekleideten Unschuld. Dorin Rahardjas Tebaldo und Sun-Myung Kims Herold haben trotz undankbarer Partien starkes Profil. Beide treten oft im Verbund mit dem stimmgewaltigen Chor auf. Christian Jeub hat sie nicht nur als Kollektiv einstudiert, sondern auch in den Einzelstimmen nach Individuen und Gruppierungen gesucht. Michael Tews liefert sich als bassgewaltiger Großinquisitor in furchterregender Maske ein packendes Duell mit Renatus Mészár als König Philipp. Mészár klingt stellenweise etwas zu deutsch, doch die intensive Charakterzeichnung nebst einer starken vokalen Bewältigung lässt den Zuhörer fast schon Mitleid mit dem gebrochenen Monarchen empfinden. Carola Guber kämpft zuweilen mit einem brüchigen Piano, bietet aber insgesamt eine leidenschaftliche Eboli, krönt ihre Darbietung mit einem aufbrausendem O don fatale. Daniel Magdal in der Titeltolle hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Einerseits stemmt er beachtliche Töne in der Höhe mit aufbrausender Kraft, andererseits verbirgt er seine Stimmschönheit hinter kehligen Tönen im Passagio und unsauberen Registerübergängen. Die hervorragende Petra Schmidt steigert sich von Akt zu Akt. Ihre Elisabeth ist zunächst erfüllt von vielen traurigen, fast zurückhaltenden Tönen, im dritten Akt bricht aus ihr die stolze Königin heraus, ihre letzte Arie berührt die Zuhörer ebenso wie ihr zärtlicher Abschied. Stärkste Leistung des Abends bietet aber Günter Papendell als Rodrigo. Schauspielerisch und vokal ist er ein glaubhafter, intensiver Streiter für die Freiheit. Sein markanter, durchschlagender Bariton fühlt sich im langen Verdi-Legato dank einer klugen Atemkontrolle hörbar wohl. Einige Intonationstrübungen in der Höhe seien nur der Vollständigkeit halber angemerkt.

Sehr auffällig ist, dass das Publikum die Leistung der Sänger stets sehr freundlich, zugleich aber differenziert betrachtet und dementsprechend auch klatscht und jubelt. Sehr selten auch, dass es eine Applaus-Bremse gibt: Als einige wenige in den finalen Akkord, den Baumann verhalten ausklingen lässt, hineinklatschen, macht der Rest einfach nicht mit und lässt den Augenblick auf sich wirken, ehe die Begeisterung losbricht. Das Premierenpublikum weiß zum Glück, wie man so eine Aufführung würdigen kann. Das Musiktheater im Revier hat einen guten Lauf: Nach Mozarts Figaro ist Verdis Don Carlo der nächste große Erfolg am Opernhaus.

Christoph Broermann

Fotos: Pedro Malinowski