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Fakten zur Aufführung 

ZAR UND ZIMMERMANN
(Albert Lortzing)
26. März 2011 (Premiere)

Musiktheater im Revier Gelsenkirchen


Points of Honor                      

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Keine Sympathie für den Zaren

Wohin der Weg von Roland Schwabs Inszenierung führen wird, kann man schon während und nach der Ouvertüre erahnen: Acht langbärtige Bojaren sitzen, wenn das Publikum den Saal betritt, vor dem Vorhang, auf dem geschrieben steht: „Wanted Peter“, und suchen den Zaren unter den Zuschauern. Während der Ouvertüre stricken sie sichtlich selbstzufrieden im Takt an ihren Bärten weiter. Die Wendung vom lustig-satirischen Theater zum martialischem Drama vollzieht sich in den letzten Takten: Zwei Soldaten erscheinen mit Flammenwerfern, die Bojaren werden in grelles Licht getaucht.

Immer wieder streut Schwab historische Andeutungen zur Figur des Peter Michailow in seine Sicht auf die deutsche Volksoper ein. Der eigentliche Sympathieträger entpuppt sich von Anfang an als ein in Gewaltfantasien manisch zuckender Machthaber. Diese eher düstere Gestalt setzt Schwab in betonten Kontrast zum grellen holländischen Saardam, das durch die Anwesenheit von Zaren, Deserteuren und Gesandten mächtig durcheinander gewirbelt wird.

Allein dieser Ausgangspunkt von Schwab hätte genügend Potential zu einer spannenden Diskussion geboten, sieht er in Zar und Zimmermann doch nicht nur die heile Welt der deutschen Volksoper. Dabei nimmt er auch die ironischen Spitzen in Lortzings Musik auf, so dass der Humor nicht auf der Strecke bleibt: die Arbeiter der Werft sind lustige Heinzelmännchen in orangefarbenen Müllmänner-Outfits (Kostüme: Renée Listerdal), die wie die Nibelungen mit einem silbernen Hammer rhythmisch ins Leere hämmern und in ihren Pausen Fische essen. Bürgermeister van Bett wird von einer Leibgarde in gelber Friesentracht begleitet, die als Spiegel fungierende Schutzschilde mit sich tragen. Oder die Kantatenprobe, wenn der Pianist (Alexander Poetsch) den durch einen Schiffskran nach oben gezogenen Flügel über eine Leiter zu erreichen sucht und eine herrliche Slapstick-Nummer abliefert. Dazu wird die Aufführung bereichert durch eine pointierte Bewegungssprache der einzelnen Personen sowie des Chores. Das praktische Einheitsbühnenbild von Piero Vinciguerra, das sich vom Industriehafen zum Gasthaus wandeln kann, wird also sehr klug bespielt.

Doch das durchdachte, spannende Konzept und die guten Einfälle verlieren ihre Wirkung, wenn viel zu oft der Griff in die mittlerweile ganz alte Kiste der Regietheater-Provokationen getan wird. Das beginnt bei eher peinlichen Witzen: Da zeigen die in „Reih und Glied“ aufgestellten Handwerker ihre neckischen Unterhosen mit Tulpen im Schritt, und Peter Ivanow muss an der überproportionierten Witwe Browe die „Glocken“ läuten, um die Handwerker herbeizurufen. Und schließlich ist die Hochzeit natürlich eine Schwulenhochzeit mit wundervoll übertriebenen tuntigen Männern.

Noch weniger traut Schwab der schmachtenden Zärtlichkeit von Châteauneufs Wunschkonzerthit „Lebe wohl mein flandrisch Mädel“zu, bei dem sich der Zar unter den Tischen herumtreibt und eine Chordame oral befriedigt. Manches gibt in der Kombination mit der Musik auch keinen Sinn: Das kleine Mädchen zum Beispiel, das zu Beginn des zweiten Aktes im Festsaal steht und in der eingefrorenen Szene aus feiernden Männern und Frauen den nun folgenden Chor „Hoch lebe die Freude“ rezitiert (warum eigentlich?). Im Anschluss wird dieser dann so ausgelassen und toll gesungen vom Opern- und Extrachor des MiR (Einstudierung: Christian Jeub), ist aber über die Hälfte gekürzt, so dass der eben rezitierte Text gar nicht zur Geltung kommt. Interessanter Weise ist Schwab ausgerechnet zum Holzschuhtanz, dem Folklorehit einer Aufführung schlechthin, sehr wenig eingefallen, außer einer Abfolge von Aktionen des Chores mit Holzschuhen und holländischen Farben. Das ständige Jauchzen der Damen ist für die Musik nahezu der Todesstoß.

Auch das letzte Wort der Aufführung hat nicht etwa Lortzing sondern ein Ausschnitt des verstörend hämmernden Orchesterwerkes Zavod von Alexander Mossolow. Diese Klänge untermalen auch immer wieder im Laufe der Vorstellung die zuckende Gewaltfantasie des Zaren. Am Ende der Oper hebt sich dazu der Bühnenboden und zeigt eine sehr scharfe, drehende Schiffsschraube als Vernichtungswaffe – ein Hinweis auf die Zukunft des Zaren, der von Saardam aus zu einer blutigen Verfolgung der Strelitzen aufbricht.

In diesem szenischen Gewimmel von Einfällen und Provokationen kam die Musik fast zu kurz. Allerdings war die vokale Gestaltung auch nicht so geschlossen, dass sie die Regie als gleichberechtigter Partner hätte unterstützen können. E. Mark Murphy war ein ängstlicher Ivanow mit etwas dünnem, aber gut eingesetztem Charaktertenor. Die zwei profunden Bässe Dong-Won Seo und Nikolai Miassojedov gaben die Gesandten Lefort und Syndham sowie Jean-Noël Briend einen stimmlich etwas übergewichtigen Châteauneuf. Joachim G. Maaß hatte die dankbare Rolle des blasierten Bürgermeister von Bett übernommen. Glücklicherweise übertrieb er die Rolle darstellerisch nicht und begeisterte mit einer herrlichen Mimik. Gesanglich blieben dabei viele Feinheiten der Partie auf der Strecke. Als Witwe Browe bewegte sich Almuth Herbst gut und engagiert auf der Bühne. Piotr Prochera trug das Konzept des Regisseurs voll mit und sein Peter war alles andere als ein Sympathieträger. Mit raubtierhaften Bewegungen, zynischem Lächeln und wahnsinnigen Anflügen beherrschte er die Szene. Sein lyrisch-markanter Bariton hätte nur etwas mehr heldische Durchschlagskraft gebraucht, um das Bild vollständig zu machen.

So gebührte die sängerische Krone des Abends Alfia Kamalova als überragende, szenisch kecke Marie. Ihre Stimme blühte wundervoll ausgeglichen in den Arien auf, die sie mit deutlicher Diktion vortrug. Zudem hatte ihre Stimme genau den richtigen Strahl, um in leuchtenden Legato-Bögen sogar aus der hinteren Bühne mühelos nach vorne in den Raum zu dringen. Bei der rhythmisch nicht ungefährlichen Arie „Die Eifersucht ist eine Plage“ hielt sie engen Kontakt zu Heiko Mathias Förster am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen, der sie sehr aufmerksam durch die Einsätze lotste.

Auch der Dirigent spürte in Lortzings genialer Musik, die ja immer wieder an Mozart erinnerte, auch den düsteren Untertönen nach, was auch gut zum szenischen Konzept passte. Er vermied extreme Übertreibungen, vor allem in Punkte Lautstärke, so dass die Sänger doch sehr freundlich unterstützt wurden. Das sehr sichere Orchester reagierte genau auf ihn, klang sehr homogen und lieferte so eine geschlossene Leistung ab, die Lortzings Musik in all ihrer schlanken Pracht und Delikatesse zum Vorschein brachte.

Am Ende einer fast dreieinhalbstündigen (und doch gekürzten) Aufführung war der Applaus des konzentriert zuhörenden Publikums fast schon verhalten müde, die ersten Gäste hatten schon in der ersten Pause das Theater verlassen. Viele Buhs grollten durch das Theater, als das Produktionsteam vor den Vorhang kam. Daneben aber zollten einige enthusiastische Bravo-Rufer einer mutigen Sichtweise Respekt. Doch zwischen diesen beiden Meinungsspitzen war nicht zu überhören, dass der Applaus merklich abgeflaut war.

Christoph Broermann

 






 
Fotos: Pedro Malinowski