Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

WAR REQUIEM
(Benjamin Britten)
27. Mai 2011 (Premiere)

Musiktheater im Revier Gelsenkirchen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Gegen den Krieg

„Dies illae, dies irae“ – der Tag des Zornes ist es, den Elisabeth Stöppler ins Zentrum ihrer Deutung von Brittens War Requiem stellt. Stöppler wagt eine szenische Umsetzung des großen Anti-Kriegs-Oratoriums. Sie erzählt dabei auf drastische Weise, wie der Krieg ins Alltagsleben eindringt, wie er Familien zerstört und Unschuldige zu Mördern macht. Auch Kinder werden gnadenlos ins Töten hineingerissen. Und inmitten von Zerstörung, Angst und Gewalt wütet in Gestalt eines Soldaten der ewig wiederkehrende Krieg, den man nicht umbringen kann.

Kathrin-Susanne Brose hüllt den Chor in Alltagsklamotten, lässt die Haare der Sängerinnen und Sänger aus Gram weiß werden und malt dem Kinderchor Tarnung ins Gesicht. Andreas Etter schaut mittels Live-Kamera dem Schrecken ins Auge.

Stöppler schafft aussagekräftige Bilder. Vor allem ihrer großen Übersicht und Umsicht ist es zu danken, dass von der Bühne – mit Chören und Kammerorchester beinahe überfüllt – klare Signale gesendet werden und das Ganze nicht in einem wimmelnden Chaos endet. Ihre Kunst, in dieser Masse an Personen keine einzige zu übersehen, tritt deutlich und meisterhaft zu Tage. Stöppler scheut weder Blut als Zeichen für Krieg und Tod, noch Kitsch wie die lebende Pièta in einer Videosequenz. Toll sind die schauspielerischen Leistungen von Karla Koball und Balthasar Gumbinger, die beiden Kinder, die durch Krieg und Gewalt zu früh erwachsen werden.

Bjørn Waag zeichnet den Soldaten mit seinem schön timbrierten Bariton zwischen Gefühlen von Angst und hemmungsloser Martialität. Petra Schmidt lässt ihren sicheren Sopran im Sanctus trompetenhaft erschallen, William Saetres schlanker Tenor macht die Kriegsgräuel erfahrbar, die in jener Lyrik des Dichters Wilfred Owen stecken, mit der Benjamin Britten den gewöhnlichen Ablauf der lateinischen Totenmessen unterbricht.

Christian Jeubs Opern- und Extrachor, vor allem aber auch der von Alfred Schulze-Aulenkamp einstudierte Kinderchor setzen glanzvolle Momente. Das gilt auch für die Neue Philharmonie Westfalen unter Rasmus Baumann und das auf der Bühne platzierte Kammerorchester, dass von Clemens Jüngling geleitet wird. Klappert es zu Beginn noch ab und an in rhythmischer Hinsicht und bei der Abstimmung zwischen Bühne und Graben, legt sich diese Uneinigkeit ziemlich bald und weicht im weiteren Verlauf des Abends einer beeindruckenden Einheit zwischen Musik und Bühnengeschehen.

Das Publikum verfolgt Brittens Werk konzentriert und mit großer Spannung bis zum Schluss. Nach dem „Requiescant in pace“ herrscht erst lange knisternde Stille, dann folgt brandender Applaus.

In Stöpplers konsequente Anti-Kriegshaltung würde Britten, der überzeugte Pazifist, sicher vorbehaltlos einstimmen. Gleichwohl ist die Frage legitim, ob Brittens Musik, die ja oratorisch angelegt ist, wirklich solcher Bebilderung bedarf. Verströmt sie nicht schon für sich allein die Aura tiefer Trauer, spricht aus ihr nicht maßloses Entsetzen und stilles Gebet? Wirken Bilder da nicht aufgepfropft und übertrieben? Oder braucht es in unserer hektischen Mediengesellschaft doch vertiefende Reize? Dieses War Requiem bietet da reichlich Anlass zur Diskussion.

Gar keine Frage, dass Stöppler mit dem Abschluss ihrer Gelsenkirchener Britten-Trilogie noch einmal ein Ausrufezeichen setzt. Deren Höhepunkt aber war ihre phänomenale, verblüffende Gloriana.

Thomas Hilgemeier









 
Fotos: Pedro Malinowski