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Fakten zur Aufführung 

RUSALKA
(Antonín Dvořák)
8. September 2013
(Premiere)

Oper Frankfurt


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Undinenzauberei mit Saurierknochen

Ah, unser Senkenbergmuseum“, raunt es durch den Zuschauerraum, als ein großes Saurierskelett samt Schädel von der Decke des Bühnenraums herunterfährt. Die erste Premiere in der neuen Spielzeit der Oper Frankfurt bedeutet: Es gibt eine Kostbarkeit aus Europa zu erleben, die Intendant Bernd Loebe für sein Haus entdeckt hat. Letzte Saison war das Vanessa von Samuel Barber. Diese Spielzeit eröffnet die Märchenoper Rusalka des Antonín Dvořák die lange, mit Höhepunkten und Raritäten gespickte Saison. Die tschechische Nationaloper Rusalka wurde 2010/2011 erfolgreich in Nantes und Montpellier gespielt und dort von der Presse hoch gelobt.

„Nachts im Museum“ könnte zusätzlich als Headline über dieser Inszenierung stehen, aber das wäre eine zu oberflächliche Sicht auf die sehr eigenwillige und dennoch poetische Regieausdeutung des Werkes durch den niederländischen Regisseur Jim Lucassen. Dvořáks lyrisches Märchen in drei Akten mit dem Libretto von Jaroslav Kvapil nach der Erzählung Undine von Friedrich de la Motte Fouqué, dem Märchen Die kleine Meerjungfrau von Hans Christian Andersen und dem deutschen Märchendrama Die versunkene Glocke von Gerhart Hauptmann, besticht vom ersten Moment an. Trotz zweier Pausen verfliegt die Zeit, das Publikum schwelgt in slawischer, hochromantischer Musikträumerei und lässt sich in die traurig-schöne, musikalisch einzigartig berückende Liebesgeschichte um die Nixe Rusalka hineinziehen.

Regisseur und Bühnenbildner Jim Lucassen, der mit seiner Kostümbildnerin Amélie Sator berückende Bilder schafft, verlegt die Story um die Wasserfee Rusalka, die ihre Unsterblichkeit loswerden will, um die Seele eines Menschen zu bekommen, ja, um lieben und fühlen zu können, in ein Naturkundemuseum. Hier sitzt sie in einem Wandbild, neben ihr ein zartes ausgestopftes Reh, im Hintergrund abgebrochene Bäume und links von ihr sprudelt ein Quell aus dem Fels. Die Bildszenerie erinnert atmosphärisch an Szenen des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald. Rusalka, im weißen Spitzenkleid gleicht einer reinen Jungfrau, die Erkenntnis, Erkennen im Gegenüber sucht. Und dafür steigt sie aus ihrer Waldidylle hinunter in die Menschenwelt/Museumswelt. Lucassen lässt Rusalka ihr träumerische, zerbrechliche Wesensart. Er deutelt nicht zu viel psychologisch, erotisch, sinnlich herum. Dadurch gewinnt er Raum und Spielflächen für die großartige Musik Dvořáks, die unberührte Innenwelt Rusalkas und die grobschlächtigen Personen, die in der Menschenwelt leben.

Wenn das Licht gelöscht ist im Museum, beginnt das Leben der Geister. In den Schaukästen lauern ausgestopfte, starre Ungetüme: Eule, Luchs und Riesenboa. Den Unterschränken entschlüpfen Schulmädchen im Rotkäppchen-Look und tollen als Waldfeen durch den Saal. Im Untergeschoss lebt der Wassermann-Hausmeister, behängt mit seiner Schuppenjacke. Der Bibliothek im Obergeschoss entschlüpft die Hexe Jezibaba. Eine Oberzicke, gemein, gierig und zu jeder Schandtat bereit, mixt sie den Verwandlungstrank für Rusalka, schenkt ihr Beine und ermahnt sie stumm zu bleiben, um den Zauber nicht aufzuheben. Dafür erhält sie Rusalkas Fischschwanz, den sie hurtig abmontiert. Der Prinz, hier der Museumsdirektor, verliebt sich in das Zauberwesen, lässt aber von ihr ab, da sie stumm und kühl in ihrem Wesen nicht zur eleganten Society passt. Eine der schönsten Szenen ist, wenn Rusalka im Plastikhochzeitskleid vor Freude und Inbrunst unter dem allzu mächtigen Sauriergerippe tanzt – musikalisch elektrisierend vom Orchester zelebriert – und von der Partygesellschaft verhöhnt wird. Lucassen versteht es in seiner exquisiten Personenführung Welten, Wesen und Schicksale aufeinander prasseln zu lassen. Und er lässt uns an der Täuschung und Verstörung der Protagonisten teilhaben, ohne voyeuristisch zu sein. Als sich ihr Geliebter der eleganten fremden Fürstin zuwendet, kehrt die Nixe zurück zum See und leidet. In der Abschlussszene, die gelungen das Vergebliche und Vergängliche zweier Welten aufzeigt, stirbt der als Irrlicht herumgeisternde Liebende, und Rusalka entschwindet einsam mit ihrer Überfülle an Leid und Liebe. Wermutstropfen in der Inszenierung ist der running gag: das Phallus-Tänzchen eines Angestellten mit einem übergroßen Dinoknochen. Das kann aber großzügig übersehen werden.

Der aus dem Orchestergraben wohlig hochromantische Klang, der sich über die Rampe der Bühne zu ergießen scheint, stachelt alle Protagonisten des bestens intonierenden Sängerensembles an. Immerhin wird ja in tschechischer Sprache gesungen. Allem voran verströmt Amanda Majeski als Rusalka betörende Zerbrechlichkeit und hingebungsvolle Tongestaltungen. Sie ist die ideale Rusalka und verströmt beim berühmten Lied an den Mond hochdramatische Innerlichkeit. Tanja Ariane Baumgartner ist eine furiose Fürstin mit großer Grandezza, tiefschwarzer Seele und metallisch-erdigem Timbre. Auch die Hexe Jezibaba ist darstellerisch wie auch sängerisch gelungen. Katharina Magiera schöpft diese, exaltiert im Oberlehrerinnenkostüm stolzierend und feixend tanzend, großartig aus. Das Elfentrio mit Kateryna Kasper, Elizabeth Reiter, Marta Hermanist ist rhythmisch nicht immer d‘accord, überzeugt aber in seiner verspielten, kecken Art. Die Herren haben es gegen so viel Frauenpower schwer. Zoltán Nyári als Prinz und Geliebter Rusalkas fehlt ein wenig metallischer Glanz und Bestimmtheit. Mischa Schelomianskis Wassermann-Hausmeister könnte an Fülle und Spannkraft zulegen. Überschwängliche Spielfreude beim im Übrigen großartig auftrumpfenden Sängerensemble und dem Chor der Oper Frankfurt unter der Leitung von Matthias Köhler.

Generalmusikdirektor Sebastian Weigle entfaltet mit seinem Frankfurter Museumsorchester Dvořáks feinsinnige Soundskala. Herrlicher Farbreichtum und rhythmisch flirrende Eleganz zieht sich durch alle Instrumentengruppen. Die tänzerischen Parts der Partitur sind ebenso meisterhaft durchpulst, wie die lyrisch zarten Naturschilderungen: die klirrende Harfenklänge für das sprudelnde Wasser oder klagende Klarinettenschluchzer als synonym für das Leid der menschlichen Undinen-Seele Rusalkas. Musikalisch eine hochromantische, in die Moderne verweisende Lesart, die Weigle klug auskostet.

Das international besetzte Premierenpublikum aus Politik, Finanzwelt und Kultur ist begeistert und bezaubert zugleich. Viele Bravos, Vorhänge und stürmischer Applaus für den gelungenen Saisonauftakt.

Barbara Röder

Fotos: Barbara Aumüller