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Fakten zur Aufführung 

PELLÉAS ET MÉLISANDE
(Claude Debussy)
4. November 2012
(Premiere)

Oper Frankfurt


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Das Heim ist kein Zuhause

Zuerst will das Ding nicht glimmen, dann endlich nuckelt eine junge Frau nervös an der Zigarette. Immer, wenn ihr Wege versperrt scheinen, wird sie magisch-manisch nach dem Glimmstängel greifen. Aus dem Dunkel der Bühne tritt Mélisande in einen schummrigen Lichtkegel; von oben rieseln Sterntaler, das würde auf eine gute Zukunft hoffen lassen, aber es sind Schneeflocken, die der begehrenswerten Frau Kälte und Einsamkeit verheißen. Auch ihr Erretter, Witwer Golaud, der sich – Waidmannsheil – im Wald verirrt hat, wird ihr nicht helfen können. Zu verwirrt ist ihre Seele, doch alle Figuren in der Oper Pelléas et Mélisande von Claude Debussy leiden an fast klaustrophobischer Verelendung.

Zumindest scheint das die Sicht der Inszenierung von Claus Guth in Frankfurt, der ein außerordentlich berührendes Kammerspiel zeigt über Menschen, die zum Glück unfähig sind und – modern ausgedrückt – unter extremen Kommunikationsstörungen leiden. Mélisande kommt aus einem abstrakten Niemandsland, während Pelléas, der Halbbruder von Golaud, als unreif-irritierter junger Mann die Liebe zu Mélisande nicht leben wird. Warum? Weil Maurice Maeterlinck in seiner schwebend-irisierenden Dichtung das Unverständnis ob des Lebens zum symbolistischen Akt einer Bedrohung macht, der seine Figuren nicht entfliehen können. Im engen Kosmos des Herrenhauses, das Christian Schmidt doppelstöckig auf die Drehbühne setzt, werden die Menschen nicht aufeinander zugehen können. Sie leiden an Vereinsamung, an Enge, auch fehlt es an Licht und Teilnahme an der Außenwelt.

Das Befremden über das eigene Fremdsein fasst Claus Guth in einen berührenden Balanceakt zwischen symbolistischem Schwebezustand und veristischen Einschüben. Herrisch Großvater Arkel, „König“ von Allemonde, der mit dem Gehstock die Richtung zeigt, ehe er Anflüge von menschlicher Wärme zeigt. Brillant dagegengesetzt die Figur des kleinen Yniold, der von Papa Golaud als Spion missbraucht wird: Hat es Pelléas nun mit Mélisande, oder sind sie nur in kindlich-alberner Zuneigung entbrannt? Am Ende, wenn – fast alttestamentarisch – Golaud seinen Bruder Pelléas mordet und Mélisande im traumatisierten Schockzustand der Welt entflieht, werden die Seelen wieder ins Bühnendunkel entlassen, ohne zueinander zu finden.

Musiziert wird großartig, denn Friedemann Layer am Pult des Frankfurter Orchesters zaubert subtil abgetönte Atmosphäre ebenso wie schockierende Klangverdichtungen. Das passt ausgezeichnet, zumal eine Sänger-Garde glänzt. Christiane Karg führt die Figur der Mélisande mit sensiblem Melos und perfekter Darstellung zu eindringlicher Präsenz; Christian Gerhaher weist mit seinem stimmlichen Reichtum auf den unreifen, in sich zerrissenen Pelléas hin, während der Charakterbariton von Paul Gay der Zerrissenheit des Golaud großen Ausdruck verleiht. Der knorrige Patriarch Arkel hat in Alfred Reiter einen souveränen Bassisten, und David Jakob Schläger macht mit seinem Knabensopran aus dem kleinen Yniold einen ganz Großen. Hilary Summers als immer Haltung bewahrende Geneviève und Sungkon Kim als hilfloser Arzt arrondieren ein Ensemble, das den Ruf des Hauses nachhaltig unterstreicht.

Das Premierenpublikum ist sehr beeindruckt, aber nicht überwältigt.

Eckhard Britsch

Fotos: Monika Rittershaus