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Fakten zur Aufführung 

OEDIPE
(George Enescu)
12. Dezember 2013
(Premiere am 8. Dezember 2013)

Oper Frankfurt


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Hoffen und Forschen

Was ist, was war der Mensch ohne sein Hoffen? Ein Suchender. Alles Wissen ist berechenbar, abrufbar oder kalkulierbar. Nicht aber das Leben, das Schicksal oder die menschlichen Prüfungen, die es bereithält. So fragt auch die Sphinx den irrenden Ödipus, was grösser sei als das Schicksal. Seine anmaßende, überhebliche Antwort lautet: „Der Mensch“.

Regisseur Hans Neuenfels kehrt mit einem schauerlich dunklen, düster markanten Oedipe aus der Feder des rumänischen Komponisten George Enescu und seinem französischen Librettisten Edmond Fleg an die Oper Frankfurt zurück. Es wäre aber kein Neuenfels-Produkt, wenn nicht signifikante Markenzeichen des Regisseurs die Szenerie bestimmen würden. Zuerst das Libretto, das durch die deutsche Verwandlung von Henry Arnolds härter, unpoetischer und schroffer klingt als das gereimte poetischere Material Flegs. Das bremst die kraftvolle, hochemotionale Musik Enescus zwar nicht, stört aber, wenn gesprochener Text ohne Fluss artikuliert wird. Denn, es wird nicht nur gesungen, sondern des öfteren recht roh, auf neudeutsch artikuliert. „Hau ab“, „Halts Maul“ irritieren, gehören aber dazu. Es ist eben ein Lehr- und Denkstück, das uns Hans Neuenfels, der Altmeister des Regietheaters vorführt. Stets mit erhobenem Zeigefinger. Am Schluss scheint Neuenfels versöhnlich zu werden und entlässt seine Schüler mit dem Satz: „Es gibt keine Erkenntnis außer der Hoffnung“. Dieser tröstliche Schluss tönt trügerisch, weiß doch ein jeder, dass das Hoffen menschliches Leiden verursacht.

In der bespielten Einleitung von Oedipe dringt auf der Bühne von Rifail Ajdarpasic ein Forscher mit Kopf- und Taschenstrahler in ein großes dunkles, mit übermächtigen, verschiebbaren Kreidetafeln ausgestattetes Verlies ein. Auf den Tafeln sind Formeln zur Wahrscheinlichkeitsrechnung oder Spieltheorie eines Albert Einstein oder George Forbes Nash gezeichnet. Hier erscheint der Mensch auf der Suche nach Erkenntnis, nach dem eigenen Ich, nach seiner Geschichte. Und dieser Seelensucher im blauen, zerknitterten Anzug schaut sie sich dann an: die Story von Ödipus. Zuerst einmal die Geburt des Verdammten. Aus einem riesigen Ei – das des Kolumbus – das vom Himmel herabschwebt, wird er geborgen. Dann wird von Theresias vorausgesagt, dass das Kind seinen Vater töten und seine Mutter heiraten wird. Da hilft es auch nicht, dass das Kind in den Bergen ausgesetzt wird. Denn was die Götter prophezeien, geschieht.

An diesem Aktionspunkt wird unser Forscher selbst zu Ödipus. Er spielt dessen Schicksal nach, um sein eigenes Ich zu ergründen. Der Forscher steigt als Zeitreisender durch einen weißen Türrahmen. Er tötet unwissend seinen Vater Laios, der, mit dem Neuenfels-Blick ausgestattet, höhnisch auf den Fremden Ödipus uriniert. Das ist eine zeitnahe Anspielung auf jene amerikanischen Soldaten, die auf tote Taliban uriniert haben. Danach heiratet Ödipus, ohne es zu wissen, die eigene Mutter. Er errettet Theben von der Sphinx und sticht sich zuletzt die Augen aus, als er erkennt, seinem Schicksal nicht entkommen zu sein. Im Dunkel will er das Erkennen lernen. Nur das Hoffen bleibt ihm. Neuenfels lässt seinen, an Sisyphos erinnernden Antihelden nicht erlösen. Er streicht jenen vierten Akt, in dem der alternde, blind herum wandernde Ödipus Milde von den Eumeniden erfährt. Fazit: durch die Jahrhunderte hinweg muss der Mensch immer wiederkehrend Fragen, Aufgaben bewältigen. Verdeutlicht wird das durch das exquisite Kleiderwerk, das Elina Schnizler entworfen hat: Der Chor in schwarzer Mao-Kluft, ein Hirte in Eiszeitalter-Zottelfell oder Kreon in ägyptischer Montur. Als Knaller und erfrischender Gegenpol wirken die wilden Punks, die den Hofstaat oder Diener symbolisieren. Das ist ein Fest für die Augen.

In der Frankfurter Erstaufführung dieses selten gespielten Werkes besticht ein hochmotiviertes Sängerensemble. Allen voran der leidend-grüblerische Ödipus von Sängerdarsteller Simon Neal. Er wandelt sich im Lernprozess, dass alles Wissen, alles Denken vom Hoffen geleitet wird. Ein stimmlicher Glanzpunkt der Aufführung. Als hochdramatisches Pendant gerät die sich windende, schillernd dargestellte Sphinx von Katharina Magiera. Auch Magnus Baldvinsson überzeugt als Unheil verkündender Tiresias. Er, der als weiser blinder Greis im Laufgitter von Punks ins Geschehen geschoben wird, fällt auf in der Intensität der Artikulation. Fein im Ton die Jokaste von Tanja Ariane Baumgartner. Das übrige Ensemble ergänzt stilsicher diese außergewöhnliche Ausdeutung eines Schicksalsdramas.

Was aus dem Graben dringt, ist puristische Kammermusik vom Feinsten. Der rumänische Komponist George Enescu wird in seiner Heimat als musikalischer Nationalheld gefeiert und verehrt. Das einstige Wunderkind war nicht nur Komponist, sondern auch Geigenvirtuose, Kammermusiker und anerkannter Pädagoge. Seine mit den Klangfarben der Hochromantik sprechende Partitur ist mit zahlreichen Soli der tiefen Orchesterinstrumente gespickt. So treten die Bassklarinette, die Fagotti und das Kontrafagott, die Celli und die Kontrabässe explizit hervor. Tonschön auffallend, schallen die Kontabasssoli im Wohllaut der Tiefe, im Besonderen das samtige, raue, knarzige Glissando im zweiten Akt oder die melancholischen Flöten- und Oboensoli. Das verlangt hohes künstlerisches Niveau. So sind die fehlenden sechzig Minuten des vierten, weggelassenen Aktes, wenn der Blick, das Ohr auf das rein Musikalische gelenkt wird, ein herber, ästhetischer Verlust. Dirigent Alexander Liebreich und das Frankfurter Museumsorchester musizieren spannend, intensiv und inspiriert. Klangprächtig auch der raumfüllend tönende Chor. Zu Recht werden sie gefeiert.

Ein Neuenfels-Lehr- und Denkstück, das seinen Charme aus dem dunklen farbgewaltigen Fluss der Musik schöpft. Fulminant in der musikalischen Umsetzung. Nachdenklich stimmend aus dramaturgischer Sicht.

Unbedingt anhören und anschauen.

Barbara Röder

Fotos: Monika Rittershaus