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Fakten zur Aufführung 

DIE GESPENSTERSONATE
(Aribert Reimann)
26. Januar 2014
(Premiere)

Oper Frankfurt


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Brenngläser des Wahns

Weiter geht es an der Oper Frankfurt mit bedeutenden zeitgenössischen Klassikern. Während im grossen Haus Thomas Adès’ The Tempest läuft, feiert im Bockenheimer Depot die Kammeroper Die Gespenstersonate des Komponisten Aribert Reimann ihre Frankfurter Erstaufführung. Nach dessen Medea und Lear bekräftigt die Oper Frankfurt ihr Image als Förderer zeitgenössischer kammermusikalischer Besonderheiten. Der Text Die Gespenstersonate stammt von August Strindberg. Uraufgeführt bei den Berliner Festwochen 1984, birgt Reimanns musikalisches Kammerspiel jenen wahnwitzigen Charme, den Liebhaber skurriler und zugleich scharfzüngiger Opernstoffe schätzen. August Strindberg, poetische Lichtgestalt, Visionär, Mystizismus-Anhänger, Frauenhasser und Ehehöllen-Beschreiber verfasste nach seiner dritten gescheiterten Ehe sein Okkultes Tagebuch, das als Inspirationsquelle für seine Gespenstersonate gilt. In seinem 1907 eingeweihten Intimen Theater in Stockholm kamen zahlreiche „Kammerspiele“ auf die Bühne, die bis heute zum Weltruhm des Dichters zählen. Eigenstudien über Wahn, Okkultismus, das Scheitern von Beziehungen, das Spiel von Schein und Sein durchdrangen sein eigenes Leben, wie auch sein Oeuvre.

Für den großen Bühnenraum des Bockenheimer Depots hat der famose Bühnenarchitekt Kaspar Glarner einen breiten Bühnenstreifen mit rechts und links ansteigenden Tribünen, auf denen das Publikum sitzt, geschaffen. Auf der Spiel- und Aktionsfläche vor ihm bewegt sich im ersten Bild, wie von Geisterhand gelenkt, die rosafarbene Gründerzeitvilla der Gespenstergesellschaft im Puppenhausformat. In ihrem Inneren ist sie mit feinem Inventar bestückt. Teile des Inventars huschen im zweiten Bild in Originalgröße durch die Szenerie. Hinter jeder Tribüne zeigen halbrunde, große Fenster einen Wolkenhimmel für das erste Bild, das vor der Villa, und eine Wohnzimmertapete für das zweite Bild, das im Inneren der Villa spielt. Im zweiten Bild gleiten Couch, Sessel, Teakholztisch und eine weiße Skulptur – die Frau Oberst als junge Frau – über die Spielfläche. Auf dem Boden liegende Schranktüren öffnen sich und weisen den Weg in eine Gruft, aus welcher eine Mumie, die Hausherrin, steigt und Papageienmusiken surrend wirr umher tönen. Wirklichkeit, Vision und Traum verschmelzen. Die Zeiten fließen ineinander. Ja, die Zeit selbst scheint aufgehoben. Kaspar Glarner, der auch die gut durchdachten Kostüme entwarf, präsentiert diese als Hommage an August Strindberg und Aribert Reimann. So ähnelt der windige Direktor Hummel Strindberg, die Mumie Strindbergs erster Ehefrau Siri von Essen. Zum Tee erscheint Baron Skanskorg, eine stumme Rolle, in Gestalt von Aribert Reimann. Das mag den anwesenden Komponisten Aribert Reimann sehr amüsiert haben.

Regisseur Walter Sutcliffe hat sich mit scharfen Charakterzeichnungen in die Welten von August Strindberg begeben. Es scheint, als blicke man in den Kopf des Dichters, erlebt, wie er Figuren, Situationen erfindet, nein, aus dem Leben heraus nachzeichnet. Er schaut auf seine Figuren wie durch ätzende Brenngläser. Sutcliffe präsentiert 14 versponnene, sich den Variationen des Skurrilen und Maskenhaften hingebende Lebewesen. All diese "Gespenster" sind durch menschliche, allzu menschliche Verstrickungen aufeinander bezogen. Ein jeder trägt Geheimes umher, verbirgt, lügt und trügt. Alle fühlen sich vom Leben betrogen, hintergangen um ihre Lebensträume gebracht. Oder sie haben durch Schuld und Vergehen ein Leben als Erstarrte angenommen.

Da sind zur Eröffnung der Szenerie der Alte, Direktor Hummel, der als Betrüger und Spekulant geoutet wird. Mitleid erregend fährt er in einem Rollstuhl umher und wirbt den, von Zukunftsträumen beherrschten, armen Studenten an. Dafür will er ihn in eine stattliche Gesellschaft einführen. Dietrich Volle singt diesen Hochstapler, dieses Alter Ego Strindbergs, mit feuriger Verschlagenheit. Der junge Student, das Sonntagskind, das Tote wahrnimmt, Übersinnliches aufspüren kann, ist das direkte Gegenüber von Hummel. Er sucht das ideale „Liebesobjekt“ und scheitert. Alexander Mayr singt und spielt diesen hoffnungstrunkenen Studenten, der in die morbide Totentanzgesellschaft einbricht. Sein heller, ausdrucksstarker Tenor besticht mit hellem Timbre und silberner Noblesse. Glanzpunkt und Augenweide dieses Abends ist die große Anja Silja. Ihre zur Mumie erstarrte Frau Oberst, ehemals Geliebte Hummels verströmt mit Wonne ihre Papageienlaute und mutiert kurz darauf zu einer bitterbös austeilenden Rächerin. Sprechend wie auch singend. Verstand und Wahnsinn liegen nahe beieinander. Sie zeigt es, moduliert brillant auf der Klaviatur des irrwitzigen Wahns. Barbara Zechmeister besticht im letzten Bild als kranke Tochter der Mumie. Im weißen Hochzeitskleid oder Totenhemd singt sie süßlich ausladend von ihren betörenden Hyazinthen, die berauschenden Duft spenden. Den Oberst, einen windigen, schmierigen Blender, gibt Brian Galliford mit stilsicherem tenoralen Schmiss. In prägnanten Nebenrollen Hans -Jürgen Schöffin als Johannson, Diener bei Hummel, und Björn Bürger, Bedienter beim Oberst.

Für die musikalische Illusionierung der Gespenstersonate hat Dirigent Karsten Januschke ein differenziert spielendes Kammerensemble aus zwölf Instrumentalsolisten zur Hand. Reimanns atmosphärisch dicht strukturiertes Werk wirkt wie ein groß angelegtes Requiem. Klirrend süße, in hohen Lagen tastende Streicherflagoletts suggerieren fröstelnde Grabeskälte, Harmoniumsounds scheinbare Versöhnlichkeit. Morbide Delikatesse verströmen die im skurril biegsamen Tonfall artikulierenden Bläsersolisten.

Der Komponist Aribert Reimen applaudiert in der Premiere begeistert und berührt einem Kammerensemble, das seine Gespenstersonate als zeitgenössischen Klassiker würdigt und feiert. Das Publikum ist gebannt von einem wahnwitzigen Psychodrama, das unter die Haut geht.

Barbara Röder

Fotos: Wolfgang Runkel