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Fakten zur Aufführung 

EZIO
(Christop Willibald Gluck)
10. November 2013
(Premiere)

Oper Frankfurt


Points of Honor                      

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Auf tönenden Adlerschwingen

Sein zärtlicher Genius versteht alles fernzuhalten, was seinem Hörer nur das leiseste Leid verursacht. Er schont seine Empfindungen und Gefühle“, so Stendhal 1814 über den berühmten Musikdichter Pietro Metastasio. Metastasio war jener, der bestimmte, was wie auf den Bühnen im achtzehnten Jahrhundert sängerisch formuliert wurde. Ein Komponist galt, gemessen an seinem Genie, recht wenig. Wenn dieser Megastar-Librettist den Federkiel gezückt hatte, zählte das geschriebene Wort. Das traf auch für sein Ezio-Gedicht, das in den Salons der Zeit rezitiert wurde zu. Immerhin, es gab über vierzig musikalische Fassungen dieses Ezio. Eine davon auch von Maestro Händel in London. Auch Christoph Willibald Gluck, der als Opernreformer in die Musikgeschichte einging, war sich bewusst, welch genialer Wortkünstler Metastasio ist. Als Gluck seine frühe opera seria Ezio 1750 zur Karnevalszeit im Prager Teatro Nuovo herausbrachte, lagen 20 Jahre musikalischer Wanderschaft und ein reiches Opernschaffen hinter ihm. Als dann die zweite Fassung des Ezio 1763 in Wien gespielt wird, ist er bereits eine musikalische Kultfigur und wird „Ritter Gluck“ genannt.

An der Frankfurter Oper kommt Glucks erste Fassung des Ezio von 1750 auf die Bretter. Eine mit etlichen Secco- und Accompaniato-Rezitativen gespickte Partitur, in der sich sanfte gefühlvolle Arien mit den damals üblichen, emotional überschäumenden Bravourarien abwechseln.

Der Zuschauer wird, wie von magischer Hand geführt, in den großen Guckkasten geworfen, den Kaspar Glarner entworfen hat. Auf große weiße Trennwände, die viel Platz für das Licht- und Schattenspektakel von Joachim Klein zulassen, werden antike Steine projiziert, auf denen die Figuren, die sich im Vorderraum befinden, Schatten werfen. Mal übergroß, mal eins zu eins. Das erinnert an einen Spaziergang auf dem Forum Romanum oder der Via Appia Antica. Versetzt gleichsam in jene vergangene Epoche.

Zu Beginn fliegen Kampfgeschwader durch die Lüfte. Eine kleine, winzige Cäsarfigur aus Gips liegt auf der leeren Bühne. Große schwarze Schwingen eines Adlers werden herabgelassen. Aëtius, also der Adler, landet in Rom und bestimmt nun das Geschehen. Schwingen, die zwischen Raum und Zeit schweben und unsere Fantasie in die Epochen Ezios oder Glucks hinübertragen. Im zweiten Akt tummeln sich Cäsarfiguren jeglicher Größe auf der Bühne und werfen imposante Schattenmalereien, die das Auge faszinieren.Der französische Modeschöpfer Christian Lacroix schuf die bildgewaltigen, ausladenden Roben. Eine Reminiszenz an Glucks Epoche und die vergessene Cäsarenzeit: schwarzes Rokoko-Taftkleid trifft auf Brustpanzer mit Skelettabbild. Der Kaiser trägt einen roten Samtmantel, der an die chinesischen Kaiser erinnert. Kunstfiguren, die, in Spiel und Musik getaucht, Lebendigkeit erfahren.

Metastasios Ezio nimmt den Sieg der Römer über Attilas Hunnen 451 als inspirierendes Ereignis zur Vorlage. Ezio kehrt nach erfolgreicher Schlacht heim und wird in allerhand Intrigen und Verwirrungen gestürzt. Kaiser Valentiniano, überempfindlich, psychopathisch, machthungrig und lüstern möchte Ezios Geliebte Fulvia zur Frau. Diese schwankt zwischen Vaterliebe und der Liebe zu Ezio, dem Helden von Rom. Ihr Vater Massimo, dessen Frau einst vom Kaiser geschändet wurde, verfolgt nur einen Gedanken: Der Kaiser muss sterben. Die Schwester des Kaisers Onoria liebt ebenfalls Ezio. In einem dreistündigen musikalischen Ränkespiel aus Intrige, Misstrauen, Liebesbeschwörungen und Treuebekundungen treffen jene sechs Personen unterschiedlicher Wesensart aufeinander.

Regisseur Vincent Boussard legt großen Wert auf die lang wirkenden Rezitative, denen er musikdramaturgische Spannkraft einhauchen will. Das gelingt aber nur zum Teil. Denn nicht alle seiner sechs Schauspielsänger füllen die übergroß wirkende Spielfläche mit überschäumender Gestik, Präsenz und Fulminanz. Das mag am Stück, an der auf Rezitativ setzenden Regie Bussards liegen.

Zum einen ist das Max Emanuel Cencic. Er gestaltet seinen Kaiser Valentiniano, der Ezios Macht und Beliebtheit beim Volk fürchtet, raffiniert unheimlich. Er zeichnet einen verdeckt agierenden Psychopathen, der wie ein drohendes Untier jederzeit zubeißen kann. Ein bisschen Hannibal Lecter, ein bisschen Beau mit nervösen Zuckungen. Diese Gesten sind aus dem Geist der Psychoanalyse kreiert. Sonia Prina singt ihre Nummern schön, mit leichter Rauigkeit in der Stimme. Der gewichtige, gestalterische Gegenpart zum „Herrschermonster“ oder zur liebend süßen Fulvia gelingt ihr selten. Fulvia, die zerbrechlich aufbegehrende Tochter Massimos, wird von der grandios aufspielenden Paula Murrihy gegeben. Ihr glaubt man jegliche Gefühlsregung, innere Zweifel und große Empathie zur Musik Glucks. Ihre Arie Ah, non son lo che parlo“ gerät zum Höhepunkt des Abends.

Wie schön, dass Bernd Loebe sie als Ensemblemitglied der Oper Frankfurt gewinnen konnte. Massimo, Berater des Kaisers und der eigentliche Bösewicht, wird mit geschmeidigem, tenoralem Tonfall von Beau Gibson gegeben. Die bezaubernde Sofia Fomina, Onoria, bringt in ihrem zu kurzen Auftritt die innige Seelenlage einer wahrhaft Liebenden zum Ausdruck. Tonschön auch der wahre Freund Ezios, der treue Diener Vario von Simon Bode.

Die Maximen der opera seria besagen, dass „nur edle Zartheit der Leidenschaft, keine Alltagsschmerzen und keine unglücklichen Lösungen an das Ohr des Zuhörers dringen dürfen“. Der Alte-Musik-erfahrene Christian Curnyn dirigiert mit kluger Hand und entlockt dem sehr tief gestimmten Barockensemble der Oper Frankfurt Klangwelten vergangener Welten, die es zu entdecken gilt.

Ein Opernabend, der eine wahre Rarität aus der Schatztruhe der opera seria hervorzaubert und so manche sanfte, milde musikalische Geste, betörend schöne Arie in Erinnerung verweilen lässt. Lang anhaltender Applaus vom einem in eine ferne Zeit entrückten Publikum.

Barbara Röder

Fotos: Barbara Aumüller