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Fakten zur Aufführung 

MURDER IN THE CATHEDRAL
Ildebrando Pizzetti
1. Mai 2011 (Premiere)

Oper Frankfurt

Points of Honor                      

Musik

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Ein Mann manipuliert sich selbst

Das war der große Abend des bedeutenden Sänger-Darstellers John Tomlinson. In Frankfurt, bei der Erstaufführung der Oper Murder in the Cathedral von Ildebrando Pizzetti. Mit seinem heldischen Bassbariton und seiner intensiven Bühnenpräsenz deutete er die Hauptpartie des im Jahre 1170 ermordeten Erzbischofs von Canterbury, Thomas Becket, in bestem Einklang mit der außerordentlich werkdienlichen Regiearbeit von Keith Warner. Denn der fokussiert die Konfliktsituation zwischen Staat und Kirche in der Person eines Mannes, der sich vom Kanzler seines hiesigen Herrn zum Überzeugungsmärtyrer im Glauben an den jenseitigen wandelt.

Wer von Gott gesandt, wähnt sich im Besitz ewiger Wahrheit. Das kann zu bitteren Folgen führen. Machtansprüche der Kirche reiben sich mit weltlichen Interessen. Der Investiturstreit löste Kriege aus, und wer nun wen vorrangig krönen darf, war ein dauernder Streitpunkt. Napoleon versuchte das auf seine Art, indem er sich mit der Hybris des Weltenherrschers selbst die Krone aufs Haupt setzte. Vom Aufeinanderprallen der Ideen und Überzeugungen erzählt der Komponist Ildebrando Pizzetti in seiner 1957 vorgelegten Oper Assassinio nella cattedrale nach dem Bühnenstück von T. S. Eliot, die jetzt in Frankfurt in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln Premiere hatte. Becket besteht auf einer selbstbestimmten Kirche. Das hat ihn ins französische Exil geführt; nach mehreren Jahren kehrt er zurück, vom Kirchenvolk, das in Frankfurt vom antikisch anmutenden Schicksalschor großartig gedeutet wird (Leitung: Michael Clark), mit überzogenen Hoffnungen erwartet.

Denn dieser Becket, ein vom Bühnenhimmel im Straßenanzug und Köfferchen per Hängetreppe zu seinen Schafen geschickte Hirte, scheitert an seiner biblischen Härte. Nichts kann ihn vom Weg abbringen, in Analogie zu Jesus den Tod zu finden. Vier eifernd-übereifrige Junker klagen ihn des Verrats am König an und bringen ihn um. Schon drei Jahre später wurde er heilig gesprochen und zur Kultfigur. Keith Warner mischt diesem Bischof auch eine kräftige Prise Selbstgerechtigkeit bei, als ob der seine Ermordung als finale Mission herbeisehne. Was seinen Meuchelmördern die Chance eröffnet, Beckets Ende als Freitod auszugeben. Hohe Politik, Legendenbildung - schon vor tausend Jahren wurde „Öffentlichkeit“ manipuliert.

Das Frankfurter Museumsorchester formulierte unter Leitung von Martyn Brabbins Pizzettis damals innovative Musik, die den Verismo abstreifen wollte, um über erweiterten Ausdruck tiefere seelische Schichten auszuloten, mit dichter Farbigkeit und dramatisierender Kraft. Julia Müer stellte mit ihren Kostümen organisch verbundene Zeitebenen zwischen damals und heute her, wie auch das Bühnenbild von Tilo Steffens über die Rahmung von abstrakt-geometrischen Kirchenfenstern, aus denen „Welt“ in die heilige Halle eindringt, jede Zielrichtung dieser Inszenierung unterstützt.

Im Banne von Sir John Tomlinson fiel das Ensemble durch ausgezeichnete Besetzung auf, denn Britta Stallmeister und Katharina Magiera (Chorführerinnen), Michael McCowen (Herold), Hans-Jürgen Lazar, Dietrich Volle und Vuyani Mlinde (Priester), sowie Beau Gibson, Simon Bailey, Brett Carter und Magnus Baldvinsson (Versucher/Ritter) glückten immer typisierende Charakterisierungen ihrer Partien.

Das Premierenpublikum freute sich über diese bemerkenswerte Entdeckung. Zwölf weitere Opern von Ildebrando Pizzetti (1880-1968) harren ihrer Belebung auf deutschen Bühnen.

Eckhard Britsch

 







 
Fotos: Monika Rittershaus