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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
20. Mai 2012
(Premiere am 5. Mai 2012)

Aalto Theater Essen

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Musikalisches Glück im Sanatorium

La Traviata als Rückschau zu erzählen, ist in den letzten Jahren ein beliebter Interpretationsansatz, und auch Josef Ernst Köpplinger geht am Aalto Theater Essen diesen Weg. Besonders wird es in diesem Fall durch das Bühnenbild von Johannes Leiacker. Der stellt ein wirklich sehenswertes Sanatorium des Dr. Grenvil auf die Bühne. Auf dem Krankenbett beginnt sich Violetta zu erinnern und in wenigen Sekunden wandelt sich der Saal in ein Etablissement, das herrlich von René Dreher ausgeleuchtet wird. Die Krankenbetten bleiben erhalten, werden aber zu Spielstätten der Liebe umfunktioniert.

Köpplinger bewegt vor allem das Ensemble sehr glaubhaft, um die Umgebung der Violetta deutlich zu machen. Ein paar nackte Statisten zeigen körperliche Nähe, und auch der Chor ist sichtlich erfreut, untereinander auf Tuchfühlung zu gehen. Nachteilhaft erscheint hingegen, dass ausgerechnet Violettas Stand in dieser Gesellschaft recht unbeleuchtet bleibt. Sie wirkt zwar wie ein Ehrengast unter ihren Freunden, könnte aber ebenso die Präsidentin des ortsansässigen Sportvereins sein. Auch in dem pyjamaartigen Kostüm von Alfred Mayerhofer verströmt sie nur einen Hauch von Erotik, was zu der Rückblende natürlich passt, aber kaum zu der Figur. Dadurch geht ein wichtiger Gedanke verloren. Besser funktioniert die Dreiecksbeziehung zwischen Violetta, Giorgio und Alfredo Germont. Während letzter recht traditionell gezeichnet bleibt, ist gerade die Auseinandersetzung mit dem manipulativen Vater, der sogar seine Tochter zum Gespräch mit Violetta dazu holt, ein Höhepunkt der Aufführung.

Noch schärfer gelingt die musikalische Auslotung durch Stefan Soltesz. Was er und die schlank musizierenden Essener Philharmoniker an diesem Abend im Orchestergraben vollbringen, ist schlichtweg ein italienisches Wunder. Dafür steht dem Orchester eine ganze Palette an Farben und dynamischen Möglichkeiten zur Verfügung: Das leiseste Zupfen nutzt Soltesz zur spannungsgeladenen Begleitung. Nahezu fehlerfrei interpretieren die Philharmoniker Verdis Partitur, zaubern die schönsten Details und Bögen hervor, und tragen die Sänger auf Händen. Und auch die können sich hören lassen. Das beginnt schon bei den kleinsten Nebenrollen. Marko Spehar etwa macht in den wenigen Sätzen des Marquis d’Obigny nachdrücklich auf sich aufmerksam. Auch Marie-Helen Joel und Marion Thienel sind als Flora beziehungsweise Annina ebenso zuverlässige Ensemblestützen wie Rainer Maria Röhr als Gastone und Michael Haag als Dottor Grenvil. Auch der von Alexander Eberle einstudierte Chor wächst einmal mehr mit Spielfreude und sicheren Einsätzen über sich hinaus.

Günter Papendells Bariton sitzt hervorragend auf dem Körper, so dass der junge Sänger genügend väterliche Autorität als Giorgio Germont ausstrahlen kann. Seine vokale Leistung macht ihn fast zum Sympathieträger, wäre da nicht seine glaubhafte Darstellung als scheinheiliger, arroganter Moralapostel. Felipe Rojas Velozo spielt zuweilen mit angezogener Handbremse, aber sein Tenor besitzt genügend Schmelz und leidenschaftlichen Ausdruck um diesen Umstand mehr als wett zu machen. Bedauerlicherweise wird seine Cabaletta im zweiten Akt gestrichen. Liana Aleksanyan wirkt stimmlich fast zu robust, um ihrer Violetta die Schwindsucht abzukaufen. Ihre Stimme weiß sie schlank zu führen und erfüllt das Aalto-Theater mühelos und klangschön. Jede Nuance kann sie mit ihrem Sopran ausdrücken: den Wunsch nach Vergnügen, den inneren Konflikt, den traurigen Abschied von der Welt. Ihre Leistung ist umso beachtlicher, als in Essen die Oper ohne Pause durchgespielt wird und sie nahezu ständig auf der Bühne ist. Als sie am Ende tot zusammenbricht, merkt man ihrer Stimme diesen Einsatz nicht an.

Das Publikum ist zu Beginn dieser Nachmittagsvorstellung wesentlich in Kaffeeklatschlaune. Das wunderschöne Vorspiel zum ersten Akt wird zerredet, nackte Körper werden kindlich bekichert und der Nachbar wird auch schon mal nach der Uhrzeit befragt. Doch im Laufe der Aufführung kommt das Auditorium merklich zur Ruhe und spendet am Ende begeisterten Beifall.

Christoph Broermann





Fotos: Jörg Landsberg