Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

TOSCA
(Giacomo Puccini)
27. Februar 2011 (Wiederaufnahmepremiere)
(Premiere: 22. März 1997)

Aalto-Musiktheater Essen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Der Star eines brutalen Regimes

Wenn der Vorhang fällt, dann ist für den Sänger der große Moment des Auftritts gelaufen. Christine Mielitz hat dieses Prinzip in ihrer Tosca-Inszenierung am Aalto-Theater ganz drastisch auf den Punkt gebracht. Im ausverkauften Haus erlebte das Publikum eine spannende Wiederaufnahme, die lediglich durch wenige Kleinigkeiten an einer absoluten Geschlossenheit gehindert wurde.

Mielitz verzichtet auf jegliche römische Anspielung, sondern erzählt eine Geschichte in einem faschistischen System, in der die einzelnen Figuren eine klare Zeichnung erhalten. Zusammen mit dem genialen Bühnenbild von Reinhart Zimmermann taucht sie die Geschichte in schwarzen Lack, ohne Charme, ohne Glanz. Auf der glatten Oberfläche der fächerartigen Wandelemente spiegeln sich die Gestalten und Silhouetten der Auftretenden wieder, so dass man zunächst nie genau sagen kann, wie viele Personen die Bühne betreten werden. Nur ganz wenige Requisiten wie ein paar Leuchter, ein Blumenstrauß der Sängerin (der aber sofort bis auf eine Blüte von den Schergen Scarpias in die Gasse geworfen wird) strahlen eine gewisse (künstliche) Herzlichkeit aus, als wollte das politische System sagen: Schaut doch, wir können auch anders.

Tosca bewegt sich in diesem System, wie es gewünscht wird: Als repräsentierender, fügsamer Star eines Regimes. Doch sie bringt ihre eigenen Vorhänge zum Fallen. Das bühnenhohe, eiserne Malergerüst, zu Beginn noch am linken Bühnenrand, wird für sie zum Symbol des Todes. Bei der ersten Begegnung mit Scarpia ist es komplett mit einem madonnenhaft blauen Schleier verhüllt, den sie von Eifersucht gequält herab reist.

Im zweiten Akt steht sie bei der Kantate eben darauf weit im Hintergrund. Wenn Scarpia das Fenster schließen lässt, fällt ein schwarzer Vorhang, der Gesang bricht ab – das System bestimmt die Kunst. Tosca bewegt sich angesichts dieser Autorität fast wie ein scheues Reh, in den Kostümen von Susanne Hubrich ist sie nur wenig aus der anonymen Masse hervorgehoben. Ihr „Vissi d'arte“ singt sie im kalten Neonlicht gebrochen an der Rampe, der Mord an Scarpia aber ist schon längst geplant. Und wie diese Tosca singt, das ist wahrlich ein Ereignis: Galina Shesterneva ist im ersten Akt in der Eifersuchtsszene keine Furie, singt diese fast schon unterkühlt, was auch zu der distanzierten Szene passt. Im zweiten Akt schließlich findet sie die richtige Mischung aus kontrolliertem und zugleich emotionalem Gesang. Ihr „Vissi d'arte“ geht unter die Haut, auch wenn ausgerechnet an dieser Stelle einige Differenzen mit Dirigent Volker Perplies in Sachen Tempo bestehen. Sie hat für die Tosca genau die richtige Färbung, ihre Stimme klingt durchgebildet, so dass die Höhe nicht schrill ausufert, die Tiefe nicht gedrückt wird.

Wenn sie Scarpia niedersticht, fällt der schwarze Vorhang ganz herab und gibt das Gerüst in Bühnenmitte wieder frei – Toscas weiterer Weg ist nun endgültig vorgezeichnet, und wie man ihre Absätze ganz leise die Metallstufen hinauf klackern hört, während sich der Vorhang zum leisen Aktschluss schließt, das ist ein (geplanter oder zufälliger?) Moment der intensivsten Gestaltung. Bestimmt 15 Sekunden lang regt sich keine Hand zum Applaus. Kein Wunder nach einem dramatischen zweiten Akt, der wirklich (fast) auf den Punkt gebracht ist. Um so schneller geht das eigentliche Finale der Oper über die Bühne, wo man kaum verfolgen kann, wie Tosca sich wieder auf den Weg nach oben macht. Der Sprung muss somit nicht stattfinden, jeder weiß, wie das endet.

Auch Volker Perplies lässt diesen Moment so schnell spielen, dass er die Shesterneva bei ihren letzten Sätzen nur noch hinterher stolpern lässt. Die wie immer guten Essener Philharmoniker passen sich dem Geschehen an, lassen Puccinis Musik sehr glatt und zügig aus dem Graben aufsteigen. Um so deutlicher tauchen dann schöne Momente der Einzelstimmen aus dem Fluss auf, um sofort wieder darin zu verschwinden.

Der dritte Akt beginnt indes so intensiv wie der zweite geschlossen hatte. Mit einem Wolken verhangenem Horizont auf der Leinwand gibt Christine Mielitz den weiß gekleideten Gefangenen das einzige naturalistische Element der Aufführung, das sich aber ebenso als blanke Utopie entpuppt, wie Cavaradossis und Toscas Freiheitsrausch über die vereinten Künste, wo Spoletta -szenisch wie vokal klasse gestaltet von Rainer Maria Röhr - schon hämisch grinsend neben den beiden steht. Zurab Zurabishvili beginnt als Cavaradossi Besorgnis erregend leise, steigert sich schon mit „Recondita armonia“ und lässt seinem strahlendem Tenor dann immer mehr freien Lauf, dass er zu einem gleichberechtigtem vokalem Partner neben der Shesterneva wird.

Lediglich bei der Figur des Scarpia ist Christine Mielitz im manchen Moment über das Ziel hinaus geschossen und dem energischen Mikael Babajanyan passiert stimmlich das gleiche. Dessen ausdrucksstarker Bariton ist eigentlich doch so präsent, dass er ohne Forcieren auskommen müsste, und doch versucht der Sänger immer wieder noch mehr Lautstärke zu erzeugen. Wie ausgewogen er den Scarpia singen kann, zeigt er vor allem im zweiten Akt: „Ed or fra noi parliam da buoni amici“ Szenisch ist er zuweilen gefährlich nähe an einer schmierigen Mafioso-Gestalt, macht aber mit seinem durchgehendem Einsatz eine gute Figur auf der Bühne.

In der Kirche des ersten Aktes ist kein Platz für große Gefühle, der Messner (prägnant: Michael Haag) pickt fleißig Müll vom Boden auf. Selbst das Gemälde der Magdalena sieht man in dieser sterilen Umgebung nur bei Bedarf als Reflexion auf einer rückwärtigen Fensterfront. Das Te Deum, wo sich der Chor (Einstudierung: Alexander Eberle) als starke geschlossene Masse zeigt, wird zur emotionslosen Militärparade vor Gott, während Scarpia als Kontrast zur Masse nun seine Gelüste offenlegt. Dazu ist Mielitz nicht mehr eingefallen, als die Regietheater-typische Geste, wie sich Mikael Babajanyan zu den letzten Takten das Hemd aufreißt und zu Boden fällt – vor den Augen der Anwesenden, die offenbar doch sehr entsetzt sind über soviel Emotion. Kaum geht das Licht an, werden die Fragen derjenigen laut, die Tosca zum ersten Mal schauen: „Wieso ist Scarpia denn schon tot? Der muss doch noch singen....“ Die erfahrenen Zuschauer helfen bereitwillig aus und erklären diese Mischung aus sexueller Besessenheit und Herzinfarkt.

Ebenso überflüssig ist die Idee, dass Scarpia, der sterbend von Tosca umständlich die Folterkammer bugsiert wird, noch einmal auf die Bühne zurücktaumelt, was wohl eine Hommage an diverse Horror-Thriller wie „Scream“ sein soll. Aber solche billigen Effekte hätte diese so spannende Inszenierung nicht nötig gehabt. Eine gelungene, geglückte Wiederaufnahme.

Christoph Broermann

 







 Fotos: Gudrun Webel