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Fakten zur Aufführung 

PHILIPPE JAROUSSKY, JULIA LEZHNEVA & I BAROCCHISTI
(Diego Fasolis)
15. Januar 2014
(Einmaliges Gastspiel)

Philharmonie Essen


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Gruß aus dem Himmel

Die Philharmonie Essen hat zum Konzert „Alte Musik bei Kerzenschein“ eingeladen. Zwar könnte man sich durchaus mehr Kerzen im Saal vorstellen, denn die bilden lediglich einen Halbkreis hinter dem Orchester, doch schnell sind solche Nichtigkeiten vergessen. Nachdem das in gespannter Erwartung verharrende Publikum zunächst für einen ‚falschen‘ Dirigenten applaudiert, der lediglich Korrekturen an den Instrumenten vornimmt, und daraufhin herzlich lacht, wird es nach Begrüßung des richtigen und eigentlich unverwechselbaren Diego Fasolis und des Orchesters mucksmäuschenstill - denn I Barocchisti beginnt zu spielen. Man könnte eine Stecknadel fallen hören, während das hochprofessionelle Ensemble Vivaldis Sinfonia Al santo Sepolcro in klarem, zartem Duktus anstimmt. Zusammen mit seinem Leiter und Gründer Diego Fasolis bildet das Orchester ein organisches Ganzes, das die Musik zu atmen scheint. Fasolis selber scheint ganz von einer gebündelten musikalischen Energie durchströmt, die er durch dynamische Bewegung fast tänzerisch nach außen hin wieder abgibt. Auch das nachfolgende Concerto grosso in d-moll für zwei Violinen, Violoncello, Streicher und basso continuo wird zum Glanzstück mit dem Wechselspiel aus schwungvoller Dynamik und andächtiger Innenschau. Dass die meisten Musiker stehen, verstärkt ihr Band mit der Musik scheinbar; durch die natürlich freie Bewegung wird die Musik auch für das Auge eins mit ihren Interpreten.

Eine Steigerung scheint eigentlich kaum noch möglich, als Countertenor Philippe Jaroussky den Saal betritt, um Vivaldis Nisi Dominus zu singen. Das neunteilige Werk erfordert eine virtuose Stimmführung, die Jaroussky scheinbar mühelos gelingt. Mal sanft, mal fordernd lässt er seine außergewöhnlich klare Stimme erklingen, die besonders in der hohen Lage etwas Ätherisches innehat; umso mehr scheint er sich das Alt-Repertoire in der Tiefe noch nicht hunderprozentig zu eigen gemacht zu haben. Sein vielfältiges Timbre ist jedoch einzigartig schön und einfach ein Genuss. Er ist ein feinfühliger Musiker, der nicht nur sein Handwerk versteht, sondern sich auch zu inszenieren weiß: Zwar stehen die Noten vor ihm, die er auch automatisch umblättert, aber nicht einmal senkt sich sein Blick aufs Blatt, er schließt bloß beim Singen mehrmals mit verklärtem Gesicht ergriffen die Augen.

Nach der Pause steht Stabat Mater von Giovanni Battista Pergolesi auf dem Programm. Die andächtige Stimmung des ersten Teils vertieft sich durch die tief-emotionale Interpretation dieses schmerzerfüllte „Spätwerks“ des bereits mit 26 Jahren verstorbenen Komponisten. Die junge Sopranistin Julia Lezhneva und Jaroussky bilden ein außergewöhnliches Paar. Während ihr Blick teils wie abwesend in die Ferne schweift, bleibt er ganz bei sich und dem Publikum. Hier begegnen sich zwei Stimmtechniken, die gegensätzlicher nicht sein könnten. Während ihr Sopran geerdet und im positiven Sinne schwer klingt, schwingt sich Jarousskys leichter Alt wie ein Blatt im Wind über das Ganze. Doch gerade das macht den besonderen Reiz aus: Die beiden Stimmen verschränken sich ineinander, ohne sich abzustoßen oder unterzugehen. Bemerkenswert ist, dass Lezhneva ihre durchaus kraftvolle Stimme zugunsten der Musik an die Kandare nimmt. Das zeugt von Größe und wahrer Liebe zum Werk.

Dementsprechend reagiert das Publikum. Gerührt werden Taschentücher gezückt, und Paare greifen sich an den Händen. Natürlich wird die ergriffene Stille zwischen den Teilen durch die obligatorischen Verlegenheitshuster oder unnötiges Programmheft-Geraschel unterbrochen, doch nimmt das nicht die nahezu sakral-feierliche Atmosphäre im Saal, die auch für eher agnostisch geprägte Besucher spürbar ist, denn es erklingt wahrhaft himmlische Musik. Der Schlussapplaus für I Barocchisti, Fasolis und die beiden Sänger braust laut auf und bringt noch eine Zugabe, nämlich Scarlattis Salve Regina. Dieser Abend zeigt ein sorgsam ausgewähltes Programm der so genannten Alten Musik, die nicht purer und reiner aufgeführt werden kann. Bloß eines stört: Er ist zu schnell zu Ende.

Miriam Rosenbohm