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Fakten zur Aufführung 

PARSIFAL
(Richard Wagner)
17. März 2013
(Premiere)

Aalto-Musiktheater, Essen


Points of Honor                      

Musik

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Geschichte des Schmerzes

Die Predigt der Keuschheit bleibt eine Aufreizung zur Widernatur: ich verachte Jedermann, der den Parsifal nicht als Attentat auf die Sittlichkeit empfindet.“ Friedrich Nietzsche musste Richard Wagners letztes Werk zwangsläufig als Provokation empfunden haben. Kein anderes Musikdrama des einstigen geistigen Weggefährten erfuhr von Seiten des unzeitgemäßen Philosophen so viel Verachtung wie Parsifal. Gleichwohl der Bruch von dem einstigen Idol bereits 1876 während der ersten Bayreuther Festspiele erfolgte – Nietzsche selbst gibt davon in Nietzsche contra Wagner Auskunft – der sprichwörtlich gewordene „Kniefall vor dem Kreuz“ provozierte ihn mehr als alles andere. Dabei liegt die Auseinandersetzung Wagners mit dem Parsifal-Stoff sehr weit in der Biographie des Komponisten zurück. Das 1882 uraufgeführte Bühnenweihfestspiel ist letztendlich das Ergebnis einer fast lebenslangen Beschäftigung mit der Materie. Bereits 1836 las der junge Wagner eine neuhochdeutsche Übersetzung des Romans Wolfram von Eschenbachs. In den 1850-er Jahren kam er immer wieder darauf zurück. 1865 entstand ein erster Textentwurf.

Im Mittelpunkt des Parsifal steht mitnichten die Keuschheit der Gralsritter oder eine altersbedingte Hinwendung des Komponisten – manifestiert in der Figur Kundrys – zum Christentum. Es geht um Schmerz, den Schmerz Amfortas’, symbolisiert durch dessen sich nicht schließen wollende Wunde, und um den Wunsch nach Erlösung. Man mag diese Erlösung in der Religion suchen – und finden. Doch Schmerz, ein echter Weltschmerz, an dem ein Individuum für sich zu Grunde gehen mag, und die Suche nach Erlösung ist kein Privileg gläubiger Menschen. Dem ist sich Regisseur Joachim Schloemer bewusst. Er befreit Parsifal von allem Weihevollen – davon profitieren im ersten und dritten Aufzug die Prozessionen rund um den Gral – und setzt den Schmerz an sich und die Suche nach Heilung in den Mittelpunkt. So verlagert sich die Gewichtung des Stücks vom Titelhelden, der zwar Erlöser bleibt, aber mehr als eine Art entmythifiziertes Mittel zum Zweck, hin zu Amfortas. Der siecht in einem sterilen Krankenhauszimmer vor sich hin, während die Gralsritter um Gurnemanz im Stile einer bürgerlichen Familie die Wunde und deren Folgen reflektieren. Mit dem zweiten Aufzug erreicht die Inszenierung einen höheren Abstraktionsgrad bis hin zum dekonstruierten Bühnenbild des ersten im dritten Aufzug. Im Mittelpunkt des von Jens Kilian geschaffenen Bühnenbildes steht Amfortas’ Krankenzimmer, das noch im Aufzug über dem nur aus einem weißen, rotierenden Quadrat bestehenden Zauberschloss Klingsors schwebt.

Jeffrey Dowd in der Titelpartie beweist sein Können im Wagner-Fach. Mit hellem Tenor singt er den Parsifal mit beschwingter Leichtigkeit. Die Unschuld des „reinen Toren“ kommt genauso glaubhaft rüber wie die Dramatik, mit der sich Parsifal im dritten Aufzug zum Erlöser aufschwingt. Mit klarer Stimmführung und gelassener Autorität füllt Magne Fremmerlid den Gurnemanz aus. Sein Bass schwebt sanft, aber klar akzentuierend über die Bühne, und man vergisst beinahe, dass die Partie vor allem erzählenden Charakter hat. Jane Dutton singt Kundry beinahe vibratofrei, changiert – wie es der Zwiespältigkeit ihres Charakters entspricht – zwischen Entschlossenheit und Verletzbarkeit und spielt die Rolle, wo es notwendig wird, mit viel Leidenschaft. Heiko Trinsinger verkörpert den Schmerz des Amfortas glaubwürdig, tritt im Gesang mit Vehemenz und Klarheit auf. Marcel Rosca, der den erkrankten Roman Astakhov als Titurel vertritt, gibt den Vater Amfortas’ mehr fordernd als altersschwach. Mit Dramatik und Leidenschaft schließlich verkörpert Almas Svilpa gekonnt den Gegenspieler der Gralsritter, Klingsor.

In seiner letzten Premiere als Intendant des Aalto treibt Stefan Soltesz die Essener Philharmoniker zu Höchstform an. Ohne jedes Pathos steigt Wagners Musik wie ein sphärischer Klang aus dem Orchestergraben empor. Zu Beginn überdeckt der Klangkörper ein, zwei Mal die Sänger auf der Bühne. Das bleiben zum Glück Marginalien, die die Gesamtleistung nicht schmälern. Stimmgewaltig kommt auch der Chor unter der Leitung von Alexander Eberle daher. Beide, Orchester und Chor, sorgen bisweilen für Gänsehautatmosphäre.

Nach fünfeinhalb Stunden Wagner findet das Publikum noch die Kraft für reichlich Applaus. Vor allem Magne Fremmerlid und Jeffrey Dowd ernten viele Bravos. Stefan Soltesz und das Orchester werden frenetisch gefeiert. Gespalten ist man beim Regieteam. Joachim Schloemer wird zum Teil heftig ausgebuht, andere halten mit „Bravo“-Rufen dagegen.

Sascha Ruczinski





Fotos: Thilo Beu