Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

I MASNADIERI
(Giuseppe Verdi)
8. Juni 2013
(Premiere)

Aalto-Musiktheater Essen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Ein bisschen Occupy

Dreißig Jahre Massenarbeitslosigkeit, Krise, Wachstum auf Halbmast, und immer noch wollen sie, dass wir an die Ökonomie glauben.“ Die vor ein paar Jahren in Frankreich anonym publizierte Streitschrift Der kommende Aufstand drückt das Lebensgefühl einer ganzen Generation aus. An den Rand gedrängt durch die Ideologie des Neoliberalismus mit all seinen Folgen – hier eine kleine, reiche Elite, deren Gier keine Grenzen kennt; dort die große Masse, die peu à peu ihrer ökonomischen und sozialen Grundlagen beraubt wird – bleibt wenig Platz auf Hoffnung, dass sich etwas ändern könnte: „Unter welchem Blickwinkel man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ausweglos.“

Das gesellschaftliche Klima dieser Tage bildet die Basis für Dietrich Hilsdorfs Inszenierung von Giuseppe Verdis I Masnadieri, die 19. Arbeit des Regisseurs am Aalto. Den titelgebenden Chor identifiziert Hilsdorf mit einer Bande Börsenspekulanten, die Familie Moor mit einer großbürgerlichen Unternehmerdynastie. Die Botschaft ist klar: Karl Moor wechselt mitnichten die Seiten, wenn er, vom Vater verstoßen, Hauptmann der Räuber wird. Bei beiden handelt es sich um dasselbe Drecksgesindel, das sich auf Kosten des Allgemeinwohls bereichert. Zu Beginn des dritten Aktes versammelt sich der Räuber-Chor im Inneren einer Börse, stößt mit Champagner auf die neuesten Raubzüge durch die Gesellschaft an und ergeht sich in dekadenten Spielen. Durch den kurzen Protestauftritt von Pussy Riot lässt sich die Bande kaum stören.

Hilsdorfs Inszenierungsansatz besitzt ob der politischen Aktualität viel gesellschaftlichen Sprengstoff. Doch davon kommt nicht viel rüber. Im Mittelpunkt von Verdis nach dem Schauspiel Die Räuber von Friedrich Schiller geschaffenen Oper stehen keine Raubzüge, sondern der Zusammenbruch der Familie Moor. Hilsdorf entspinnt folgerichtig ein Kammerspiel, in dem eben jener Zusammenbruch nachgezeichnet wird. Das geschieht leider nicht ohne dramaturgische Längen. Zudem baut die Regie auch Plattheiten, wie den bereits erwähnten Auftritt von Pussy Riot – naturgemäß mit entblößter Brust – oder das auf vielen Opernbühnen offenbar unvermeidbare Rumgefuchtel mit einer Pistole, ein. Auch das von Johannes Leiacker konventionell gestaltete Bühnenbild punktet nicht unbedingt mit Originalität. Im Ergebnis bleibt eine Inszenierung, in der durchaus vieles gut ist, der Funke aber nie überspringt.

Das Ensemble weiß durchaus mit guten Leistungen aufzuwarten. Zurab Zurabishvili als Karl und Aris Argiris als Franz singen schnörkellos, sauber und dabei hochdramatisch. Der Tenor und der Bariton überzeugen als verfeindetes Brüderpaar voll und ganz. Liana Aleksanyan weiß als Amalia mit dramatischen Spiel und einem schön gestalteten Piano zu gefallen. Ihr Forte hingegen gerät manchmal etwas schrill. Marcel Rosca gibt den Maximilian als einen Patriarchen, der von der ersten Sekunde an vor den Trümmern seiner Existenz steht. So fällt auch sein Gesang differenziert und abgeklärt zugleich aus. Rainer Maria Röhr hält sich als Herrmann weitestgehend im Hintergrund auf, hebt seine Rolle allerdings über die eines reinen Stichwortgebers. Der von Alexander Eberle einstudierte Chor trägt nicht unwesentlich zum Gelingen der Sängerleistung bei. Ohne Probleme singt der Chor in wechselnden Szenen von drei verschiedenenen Ebenen aus: auf der Bühne, im Publikum und vom Balkon. Unprätentiös sorgt er für dramatische Höhepunkte.

Unter der Leitung von Srboljub Dinic gelingt den Essener Philharmonikern ein ordentlicher Verdi, auch wenn hier noch etwas Luft nach oben ist. Die Abstimmung zwischen Orchester und Sängern ist optimal.

Das Publikum zeigt sich zufrieden und spendet Applaus. Vor allem Aris Argiris wird gefeiert. Das Verbeugen kennt keine Grenzen, so dass viele Zuschauer das Haus bereits verlassen haben, als Dietrich Hilsdorf endlich auf die Bühne kommt und von seinen Fans gefeiert wird. Dass dasselbe Publikum noch vor zweieinhalb Monaten Joachim Schloemers Parsifal ausgebuht hat, scheint kaum zu glauben.

Sascha Ruczinski

Fotos: Thilo Beu