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Fakten zur Aufführung 

MACBETH
(Giuseppe Verdi)
19. Oktober 2013
(Premiere)

Aalto Theater Essen


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Schwarz wie eine Mondfinsternis

Das deutlich auf Taschengröße eingestampfte Programmheft ist das erste kleine Anzeichen eines Neuanfangs in Essen. Nicht nur der neue GMD, Tomáš Netopil, stellt sich mit der ersten Opernpremiere vor. Auch wird mit Verdis Macbeth ein Werk aufgeführt, dass noch nie in der 25-jährigen Geschichte des Aalto Theater Essen zu sehen war. Regisseur David Hermann stellt sich mit eigenen Gedankenansätzen dieser Herausforderung und zeigt einen nicht ganz alltäglichen Macbeth, der allerdings nicht durchweg zu fesseln vermag.

Im Vorspiel stellt er seinen zentralen Gedanken vor, der das mörderische Treiben von Macbeth und seiner Lady psychologisch untermauern soll. Das Paar trauert gemeinsam und gleichzeitig doch jeder für sich selbst, um den Verlust ihres Kindes. Dann hebt sich mit grellen Pyroeffekten ein riesiges, abgestorbenes Wurzelgeflecht aus einem bühnenbeherrschenden Loch in die Höhe, worin fortan – konsequent unsichtbar – die Hexen hausen werden, die die Handlung mit ihren zweideutigen Prophezeiungen vorantreiben. Christof Hetzer hat die sehr karge Bühne als permanentes Symbol entworfen: Die Leere im familiären Leben kombiniert mit der wie ein Damoklesschwert darüber schwebenden Wurzel allen Übels – im Programmheft wird sie als entwurzelter Stammbaum der Familie Macbeth beschrieben – wird überspannt mit einer kleinen Bogenbrücke. Deren Boden ist so glatt, dass man darauf ausrutschen möchte, das Geländer so stachelig, dass man ihm die Mordwerkzeuge entnehmen kann. Die Leichen werden nach und nach auf dem steinernen Altar auf der linken Seite aufgebahrt. Starken Eindruck hinterlassen auch die Videos von Martin Eidenberger, die an düstere Zeichnungen von Kinderhand erinnern: Blutige Handabdrücke erscheinen und werden verwischt, ein Galgenbaum wird von geisterhaften Händen gezeichnet. Das ist gruselige Atmosphäre. Auch die diffuse Beleuchtung, die kaum über die Helligkeit einer Dämmerung hinausgeht, trägt dazu bei, ist aber nicht gerade freundlich für die Augen.

Insgesamt macht diese Interpretation schon großen Effekt, weil Hermann so genau darauf schaut, wie eifersüchtig das gebrochene Ehepaar Macbeth auf die Nachkommen ihrer Widersacher Banquo und Macduff schaut. Wenn Macbeth die Hexen nach der Zukunft befragt, ist es nur konsequent, dass die erscheinenden schwangeren Frauen ihn in den Wahnsinn treiben. Der Nachteil dieser Interpretation liegt darin, dass viele Elemente der Personenführung total verkopft und künstlich, stellenweise auch umständlich wirken. Ausrufezeichen und Fragezeichen liegen ganz nah beieinander – etwa in der Bankettszene: Stark, wie Macbeth mit den ersten drei Opfern der Oper kommuniziert, sie versucht wieder ins Leben zu holen. Merkwürdig, wie belanglos und desinteressiert der Chor zu einem Picknick im verdorrten Laub darum positioniert wird. Überhaupt wird der politisch-kriegerische Aspekt der Oper, der Machtkampf um den Thron, fast völlig ausgeblendet, so dass gerade diese Szenen meistens blass bleiben.

Interessanterweise fällt auch das musikalische Ergebnis ganz ähnlich aus. Tomáš Netopil setzt vor allem in den ersten beiden Akten auf ein fahles Piano, formt geisterhafte Bögen voller Verzweiflung und trauernde Zwischenrufe. Das sind Momente, wo sich die Nackenhaare sträuben, wo man mitfiebernd auf der Stuhlkante sitzt. Doch wie der Regie fehlt es auch der Musik an einem starken Gegenpol. Verdis zornige Ausbrüche, wie etwa der Rachechor im Finale des ersten Aktes, werden meist mit angezogener Handbremse gespielt. Vielleicht ist es aber auch nur ein kleines Zugeständnis an Gun-Brit Barkmin, der Sängerin der Lady Macbeth. Deren Grausamkeit findet sich wieder in einem elektrisierendem Piano, das aufhorchen lässt. Die Stimme hat auch die Agilität, um die belcanten Läufe der Partie sehr genau zu bewältigen. Aber auch hier: Am dramatischen Element scheitert die Sängerin total, denn die Stimme hat im Forte weder Schönheit noch Tragfähigkeit. Das sehr offene Bühnenbild dürfte daran aber Mitschuld haben und macht ebenso Alexey Sayapin den Macduff schwerer als erlaubt. Der Tenor kann aber generell mehr als trauernder Vater überzeugen denn als entschlossener Rächer. Aus einem anderen Holz geschnitzt ist der kräftige Malcolm von Abdellah Lasri, der im Publikum aber sehr viel günstiger platziert ist. Aufhorchen lässt auch Baurzhan Anderhanov in der kleinen Rolle des Arztes. Den stärksten Eindruck hinterlässt Liang Li als Banquo, dessen Stimme weder im Piano noch im Forte Wünsche offen lässt und seine Rolle nach der herrlich differenzierten Arie Come dal ciel precipita viel zu früh beenden muss. Macbeth selber ermordet ihn, um seine Entschlossenheit zu beweisen. Der vorangegangene Chor der Meuchler sind die Stimmen in seinem Inneren, und Tommi Hakala spielt die fast schizophrene Zerrissenheit des Macbeth grandios aus. Sein Bariton könnte noch eine Spur farbenreicher sein, aber auch so vermag er der Rolle die nötigen Konturen zu verleihen. Kraftvoll hadert er mit den Mächten des Jenseits und verfügt gleichermaßen über die nötige lyrische Eleganz. Zwei Hauptrollen sind an diesem Abend aber – kaum – auf der Bühne zu finden. Nur ab und zu darf sich der Opernchor des Aalto Theater auch körperlich einbringen. Es immer wieder ein magisches Erlebnis, den von Alexander Eberle einstudierten Chor vom obersten Rang des Zuschauerraumes zu hören. Aber auch aus dem Bühnenhintergrund sorgen die Sänger, egal ob als Hexen, Volk oder gemeine Mörder, für großes Opernkino. Die Essener Philharmoniker sind nicht minder großartig, ganz wenige Unsicherheiten einfach nur menschlich. Die Philharmoniker malen diesen Macbeth mit einer Farbe, die an eine totale Mondfinsternis erinnert. Man muss nur die Ohren aufmachen und zuhören, wie fein vom Piano bis zum Mezzoforte differenziert wird, wie genau Stimmungen eingefangen werden.

Am Ende ist der Beifall vor allem für Chor und Orchester besonders laut. Tomáš Netopil als Nachfolger des beliebten Stefan Soltesz wird bereits vor dem ersten Ton sehr freundlich begrüßt, nach der Pause mit dem Orchester bejubelt, am Ende vor allem die Musiker – aber auch der neue GMD – gefeiert. Bei den Sängern ist Liang Li der große Publikumsliebling. Gun-Brit Barkmin muss auch einige Buhs einstecken. Sehr müde, aufgepeppt mit ein paar kräftigen Bravo-Rufen, fällt der Applaus für das Regieteam aus. Allerdings ist zu diesem Zeitpunkt schon fast ein Drittel des Publikums nach draußen gerannt. Die ersten haben die Aufführung schon in der Pause verlassen. Einer hat sogar das kleine Programmheft auf seinem Sitz liegen gelassen.

Christoph Broermann

Fotos: Matthias Jung