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Fakten zur Aufführung 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
24. Januar 2014
(Premiere am 9. April 2006)

Aalto Theater Essen

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Glotzt nicht so

Am Ende von Wagners Fliegendem Holländer stürzt sich Senta – laut Regieanweisung des Komponisten – von einem Felsen ins Meer, um den verfluchten Seefahrer von seinem Fluch zu erlösen. Insofern machen drei Felsen vor dem Vorhang im Aalto Theater neugierig, wie Regisseur Barrie Kosky das Ende auflösen würde. Dass er die beiden portalhohen Steine nicht nutzen würde, ist zu erwarten, da bei der Premiere im Jahr 2006 angeblich ein paar Wellen des Skandals durch den Zuschauerraum gebrandet sind.

Von der See und ihren Fahrern sieht man allerdings auf der Bühne nichts. Wind und Meer hört man ab und an nur durch die Lautsprecher, und das beim Auftritt des Holländers einmal so penetrant, dass es das mystisch-magische Vibrato der Violinen glatt versenkt. Barrie Kosky hat sich den Text des Holländers genau vorgenommen und entdeckt, dass darin alle Abwandlungen des Wortes „sehen, schauen“ sehr häufig auftauchen. Darauf aufbauend, verlegt er die Handlung in eine Gesellschaft des Spannens. Klaus Grünberg setzt in den Hintergrund der Bühne eine Hauswand, wo sich Fenster an Fenster reihen, aus denen Statisten und Chor mit Fernglas oder Polaroid-Kamera ausgerüstet das Geschehen auf der Vorderbühne beobachten. Dort steht ein karger, weißer Wohnraum, der mehr schlecht als recht durch eine überdimensionale Gardine vor dem Glotzen der Anderen abgeschirmt werden kann. Sentas Lebensraum hat überdies einen Mauerbruch in der Wand, durch den sich der Holländer, aber auch Vater Daland hereinzwängen. Dessen marineblauer Anzug, der sich auch beim Steuermann und bei der Amme Mary wiederfinden, ist das einzige optische Zugeständnis an die Seefahrer. Und Sentas rotes Kleid nebst roter Perücke, die vielfach auftauchen werden, wirken als Ersatz für die blutroten Segel des Holländers. Alfred Mayerhofer hat ansonsten nur noch in die Kostüme der anscheinend unvermeidlichen Putzfrauen Arbeit investieren müssen.

Der Rahmen für eine interessante Deutung ist also gegeben. Doch will sich bei der Wiederaufnahme ein richtiger Bildersturm nicht einstellen. Im Gegenteil. Ob die szenische Flaute nun an der Wiedereinstudierung durch Sylvie Döring oder daran liegt, dass sich Barrie Koskys Konzept am Dramaturgen-Reißbrett deutlich besser macht als in der Umsetzung, ist nicht festzustellen. Auch die Literatur Siegmund Freuds wird wohl bei der Konzeptbesprechung in greifbarer Nähe gelegen haben. An der Person Sentas werden mit Hilfe von Doubles allerlei Arten von jungen Ich und Über-Ich, von unterdrückter Sexualität, von einer belasteten Vater-Tochter-Beziehung ausgearbeitet. Auch das mag demjenigen, der diese Vielzahl von psychologischen Einzelheiten zu entziffern vermag, noch Freude bereiten. Problematisch ist nur, dass diese Konstellationen auf der Bühne zwar dargestellt, aber nicht gelebt werden. Oftmals drückt sich Personenführung so aus, dass sich die Schauspieler zwischen dem flachen Felsen am Orchestergraben und zwei weißen Heizkörpern dahinter auf und ab bewegen und sich auf einem der Gegenstände niederlassen. So ist Langeweile vorprogrammiert.

Nur einmal kommt so richtig Fahrt auf die Bühne. Zu dem berühmten Steuermann, lass die Wacht-Chor stürmen die Herren allesamt als Senta-Doubles auf die Bühne und bringen mal so richtig Stimmung in die Bude. Doch schnell kippt die Szene ins Albtraumhafte, wenn sich eine Vaterfigur in Senta verwandelt, die nun wiederum ein Skelett zur Welt bringt, mit dem sich dann andere Senta-Doubles sexuell vergnügen dürfen. Was als Provokation gemeint ist, wirkt leider nur wie nach Schablone gespielt. Bei der Premiere muss es nach dem Geisterchor wohl wütende Zwischenrufe gegeben haben, diesmal bleibt das Publikum sehr ruhig und wirkt zudem recht unerschüttert.

Wirkliche Reaktionen bekommt die Szene nur aufgrund einer unfreiwilligen Komik, die den Abend über nicht abreißt, und jeglichen Ernst der Inszenierung terminiert. Man ertappt sich dabei, wie man innerlich Wetten abschließt, ob sich die weiße Gardine erneut im Heizkörper verheddern wird. Dass der Holländer gleich zweimal an ihnen reißen muss, bis sie zu seiner Identitätsoffenbarung herabfallen, ist für diesen so zentralen Moment auch nicht förderlich. Überhaupt laufen die feinen Mechanismen auf der Bühne nicht so recht zusammen, und sei es nur, dass ein Senta-Double so plump im Chorgewimmel gegen das Original ausgetauscht wird, dass es wirklich jeder sehen muss.

Aber das Original kann sich sehen und hören lassen, denn sie ist tatsächlich das Original aus der Premiere. Dementsprechend liefert Astrid Weber eine schauspielerische Glanztat, durchleidet den Abscheu vor der Gesellschaft genauso überzeugend, wie sie das Erwachen leidenschaftlicher Lust entdeckt. Neben dem psychisch verstörten Mädchen kommt in ihr auch die selbstbewusste, zielstrebige Frau genau zum Vorschein, die sie zur Erlöserin des Holländers qualifiziert. Gesanglich sind es nur ein paar übersteuerte Höhen in dramatischer Lage, die Webers Leistung an diesem Abend trüben. Dafür glänzt sie mit sicherer Textbehandlung und herrlichen Piani, die berühren. Auch bei dem tadellosen Almas Svilpa, ebenfalls aus der Premierenbesetzung erhalten, kann man sich darüber freuen, wie er die Partie des Holländers singend gestaltet, ohne je ins Forcieren zu verfallen. Allerdings flüchtet er sich in viele Portamenti, wodurch die Figur etwas Weinerliches bekommt. Dass er schauspielerisch nicht mehr zu bieten hat als einen Außenseiter mit muskulösem Körperbau, ist sicher nicht sein Verschulden – die Figur des Holländers bleibt in Koskys Konzept allzu unterbelichtet. Die schönste und angenehmste Stimme des Abends gehört dem Bass Tijl Faveyts, der den Daland kultiviert wie ausdrucksvoll singt und somit aus der allzu plakativ gierig gezeichneten Figur noch das Beste macht. Bei Jeffrey Dowd, der als Erik gnadenlos die Vokale versenkt, vermischen sich szenisch und vokal bestens unterdrückte Wut und verzweifelte Liebe. Mehr charakterstark als lyrisch legt Rainer Maria Röhr den Steuermann an. Enttäuschend ist mit farbloser Stimme Marie-Helen Joël als resolut spielende Amme Mary.

Im ersten Akt singen die Herren des Chores noch ihren Noten hinterher, während die Frauen deutlich besser in das Werk hineinfinden. Doch was Chor und Extrachor dann trotz heikler Szene im dritten Akt auffahren, ist pure Stimmpracht und kultivierte Protzerei und eine Auszeichnung für die Arbeit von Chordirektor Alexander Eberle. Dementsprechend kann der neue GMD Tomáš Netopil nochmal so richtig zeigen, was die Essener Philharmoniker für ein Forte spielen können. Nach einer aufgeladenen Ouvertüre hat er die Suggestionskraft der Musik etwas zurückgenommen und führt die Sänger sehr genau und stimmfreundlich durch die anstrengenden Partien. Nur selten tritt er wirklich auf die Bremse, was der Bühne gelichzeitig zu etwas mehr Schwung verhilft, als dort wirklich passiert. Die Philharmoniker sind außer ein paar leichten Verzerrungen zu Beginn in einer sehr guten Form – so kann man Wagner genießen.

Vom fast regungslosen Publikum gibt es kaum Reaktionen. Nur ganz wenige Zuschauer verlassen noch während der Vorstellung den Saal. Aber als nach dem verklärtem Schlussakkord das Duo Weber/Svilpa erscheint, gibt es direkt laute Zustimmung. Der Applaus fällt relativ kurz, aber sehr herzlich für alle Beteiligten aus. Die interessantesten Zuschauer befinden sich aber auf der Bühne. Als Hommage an die Muppet-Show sitzen in einem der Fenster zwei alte Herren, die – natürlich absolut stumm – das Geschehen kommentieren. Ein herrlicher Running Gag der Aufführung, die ganz zum Schluss noch einen sehr interessanten Gedanken bekommt: Ihren Treueschwur erneuernd, tötet sich Senta nicht selber, sondern den Holländer, und bleibt erst etwas verunsichert, dann aber sichtlich zufrieden auf dem Felsen sitzen, ihren Blick in die Ferne gerichtet.

Christoph Broermann





Fotos: Matthias Jung