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Fakten zur Aufführung 

HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN
(Jacques Offenbach)
22. Oktober 2011
(Premiere der gekürzten Fassung)

Aalto-Theater Essen

Points of Honor                      

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Nach der Premiere

Dietrich W. Hilsdorf inszeniert seit mehr als 20 Jahren in Essen. Hoffmanns Erzählungen hat er auf ein erträgliches Maß gekürzt. Das Publikum goutiert es. (3'40).


 

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Mit trockener Eleganz

Es war ein merkwürdig gedämpfter Premierenabend am Aalto-Theater.  Dabei hat Dietrich W. Hilsdorf  eine handwerklich perfekte Regiearbeit abgeliefert – mit der von ihm gewohnten ausgefeilten Personenführung auf höchstem Standard.

Ort seiner Inszenierung ist eindeutig das Theater selbst. Zu Beginn ist die Bühne leer  bis auf ein Klavier am rechten Bühnenrand und einen Regietisch, an dem der bereits hier optisch völlig derangierte Hoffmann schreibt und säuft. Allerlei Merkwürdigkeiten spielen sich im Zuschauerraum ab, ulkige Zu-Spät-Kommer irren umher, der Gastwirt Luther tritt auf, eine junge Dame in der dritten Reihe erhebt sich und will Hoffmanns Muse sein, der Chor entert am Publikum vorbei die Bühne. Drastisch etabliert Hilsdorf den Hauptkonflikt: Hoffmann ist zerrissen zwischen Liebesbegehren, symbolisiert durch eine aus dem Herrenchor hervorgezauberte, ausgezogene Frau, und dem mit der Muse assoziierten Künstlertum.

Aus diesem Spannungsverhältnis entwickelt der Regisseur ausgerechnet im dritten, dem Antonia-Akt, den die Muse früh verlässt, packendes Erzähltheater mit Gruselelementen und prägnanten Bildern, vor allem zu Beginn und am Ende. Der zweite Akt um den Automaten Olympia dagegen plätschert ein wenig dahin, und im Giulietta-Akt scheinen sich die vielen grotesken Elemente der beabsichtigten stringenten Erzählform zu widersetzen. Am Ende wird Hoffmann nicht mit seiner angebeteten Stella, sondern mit seinen drei Ex-Geliebten konfrontiert – ein schlüssiger, aber ein wenig abgegriffener Einfall.

Johannes Leiackers Ausstattung dient der erzählerischen Vermittlung und schafft – zusammen mit dem Licht von Dirk Beck – eine Atmosphäre des Unheimlichen. Leiacker begrenzt den Riesenraum des Aalto nur mit Vorhängen, Fensterfronten und wenigen Versatzstücken, wie der riesigen Frauenpuppe mit verwestem Gesicht am Ende des Antonia-Aktes. Die Herren tragen Anzüge von unterschiedlicher Eleganz, die Kostüme der Geliebten dienen der  Typisierung: Puppe, höhere Tochter, Hure.

Die musikalische Seite ist, wie so oft in Essen, durchweg erfreulich. Stefan Soltesz tariert die Ensembles wunderbar aus und lässt die Essener Philharmoniker flüssig und entspannt musizieren. Dazu verordnet er ihnen jenen Schuss trockener Eleganz und klanglicher Delikatesse, ohne den Hoffmann nicht zu haben ist. Der Chor singt brillant und spielt engagiert, was sich ohne Einschränkung auch für Arman Manukyan und Mateusz Kabala als Hoffmanns Saufkumpanen sagen läßt. Marcel Rosca, erster Bass und Kammersänger des Hauses, hat gleich vier Rollen zu verwalten, darunter den Spalanzani, der eigentlich ein Tenorpart ist. Rosca singt, besonders als Crespel, hervorragend und spielt virtuos ironisch übertrieben. Rainer Maria Röhr interpretiert die Diener- und Sonderlingsrollen mit bewundernswerter Natürlichkeit, Thomas J. Mayer nutzt seinen Prachtbariton und seine elegante Erscheinung zum Porträt eines faszinierend leichtfüßigen Dämons. In der Titelpartie spielt Thomas Piffka hingebungsvoll und überzeugend den zerrissenen Verlierer. Sein nicht zu farbenreicher Tenor mit etwas larmoyanter Tongebung und sehr stabiler Höhe kommt mit dem Hoffmann gut zurecht, hat allerdings gegen Ende Intonationsprobleme.

Noch begeisternder die Damen: Renee Morloc gibt der toten Mutter gruseligen Wohllaut mit, Rebecca Nelsen ist eine charmante, bewegliche und koloraturensichere Olympia, Ieva Prudnikovaite eine mal gurrende, mal zickige, nie schrille Kurtisane von beeindruckender äußerer Gestalt. Olga Mykytenko beeindruckt als Antonia mit wirklich kostbarem Timbre, hoher Musikalität und etwas offener Höhe. Warum sie allerdings die einzige ist, die nach „ihrem“ Akt vor den Vorhang tritt und sich verbeugt…

Königin des Abends ist die Muse der Michaela Selinger: die Stimme perlt wie ein guter Sekt – mit Abgang.

Das Publikum applaudierte lange, aber ohne wirklich große Begeisterung. „Wo sind die vielen schönen Arien hin?“, seufzt eine Besucherin. Tatsächlich hat sich das Leitungsteam für eine neuere, quellenkritische Fassung des Werkes entschieden. Statt der von Offenbach ursprünglich geplanten Rezitative, werden – wie bei der Uraufführung – Dialoge gespielt, natürlich auf Französisch, was dem Abend gelegentlich den Fluss raubt und das Essener Publikum, das an Wagner, Strauss, Verdi und Puccini gewöhnt ist, deutlich befremdet. Auch mehrere beliebte Nummern sind der philologischen Schere zum Opfer gefallen, so eine große Arie der Muse und das berühmte Sextett aus dem vierten Akt. Immerhin darf Thomas J. Mayer die berühmte „Spiegel-Arie“, die gar nicht von Offenbach ist, wie man heute weiß, wenigstens anreißen – als Zugeständnis an die Tradition?

Andreas Falentin






 
Fotos: Thilo Beu