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Fakten zur Aufführung 

GISELLE
(David Dawson)
29. März 2014
(Premiere)

Aalto Ballett Theater Essen


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Romantik in abstrakter Reinheit

Ich brauche den Wald nicht und nicht die Klassenunterschiede“, bekennt der englische Choreograf David Dawson und zieht damit dem romantischen Ballett-Klassiker Giselle zwei zentrale Zähne. Dass auch ein tief im 19. Jahrhundert verwurzeltes Stück wie Adolphe Adams Publikumsrenner ohne romantischen Zierrat auskommen kann, haben vor ihm schon andere Kollegen, nicht zuletzt Mats Ek, bewiesen. Dramaturgische Brüche und Ungereimtheiten muss man freilich in Kauf nehmen.

Mit der unaufdringlichen Gelassenheit, mit der er die Handlung auf eine klassische Dreiecksgeschichte reduziert, mit der Konsequenz, mit der er die Gefühlslandschaften Giselles und ihrer Verehrer in zart fließende Bewegungen formt und dabei klassische Tanzmuster mit den langen, weichen Linien seiner Ästhetik verknüpft, hat die Produktion seit ihrer Dresdner Uraufführung vor sechs Jahren dennoch Kultstatus erreichen können.

Jetzt erarbeitete er das Werk mit den Tanz-Companien des Essener Aalto Theaters und des Gelsenkirchener Musiktheaters im Revier. Das Publikum reagiert hingerissen, und das Ensemble tut sein Bestes, teilweise sogar Überragendes.

Risikolos ist der Verzicht auf Waldeslust und vor allem die standesgeschichtlichen Hintergründe nicht, nimmt man die auf Theophile Gautier zurückgehende Handlung in Betracht: Prinz Albrecht tarnt sich als Bauer, um sich dem einfachen, aber reizvollen Landmädchen Giselle nähern zu können. Das, obwohl bereits eine standesgemäße Hochzeit Albrechts mit Bathilde vorbereitet wird. Den Schwindel deckt Giselles Verehrer, der Förster Hilarion, auf und setzt Albrecht damit unter Druck. Giselle kommt in dem Tumult um und muss das Schicksal einer Wili erleiden, also einer Braut, die vor der Hochzeit gestorben ist und dazu verdammt ist, Männer zu todbringenden Tanz-Attacken zu verführen.

Dawson ignoriert diese Thematik, wodurch das Geheimnis Albrechts, das Hilarion zu entschleiern versucht, unklar bleibt. Dass Albrecht zu den Bewunderern und Getreuen der umschwärmten Bathilde gehört, entpuppt sich als eher dünnes Motiv. Gleichwohl: Der erste Akt im Umkreis eines Hochzeitsfestes präsentiert sich in hellen, frühlingshaften Pastellfarben, passend zu den überwiegend sensiblen, anmutigen Bewegungsarrangements, die die Kernhandlung, wie so oft in klassischen Balletten, auch bei Dawson zu überwuchern drohen. Dass Hilarion als positive, ehrliche Haut dargestellt wird, die Giselle aus vollem Herzen liebt, entschärft die Konfliktsituation zusätzlich. Den ganzen ersten Akt inszeniert Dawson als ein großes Liebesduett zwischen Giselle und Albrecht, unterbrochen von einigen pittoresken Tanzeinlagen der Dorfgemeinschaft und Annäherungsversuchen Hilarios, bis Giselle in das Messer des verzweifelten Albrecht läuft.

Mit dieser trotz des bösen Ausgangs hellen, freundlichen Aura kontrastiert die Welt des zweiten Akts auf der Bühne von Arne Walther. Giselle erscheint Albrecht in der Erinnerung als eine Wili. Diesen Topos aus der romantischen Grusel-Schatulle choreografiert Dawson als schemenhaften Reigen seliger Geister. Die Farben reduzieren sich auf den Gegensatz eines schwarzen Hintergrunds mit den weißen Kostümen der Wilis. Bis auf Giselle schweben alle verschleiert durch den zweiten Akt, gipfelnd in sehenswerten Solo-Einlagen. Giselle begegnet Albrecht quasi nackt in knapper, weißer Trikotage, und in der Illusion Albrechts findet seine Liebe die Erfüllung, die ihm in der Realität versagt geblieben ist. Am Ende platzt der Traum, und Albrecht bleibt allein zurück.

Ob die Companien der beiden Revier-Theater mit dem Rang von Martin Schläpfers Truppe an der Deutschen Oper am Rhein mithalten können, ist schwer zu sagen. Zu unterschiedlich sind die Handschriften Schläpfers und Dawsons. Gleichwohl kann man sich über erstklassige Solisten besonders unter den Damen freuen. Dazu gehören die entwaffnend anmutig tanzende Anna Kamzhina in der Titelpartie, aber auch Adeline Pastor mit ihrem kraftvollen Brauttanz. Unter den Männern dominieren Armen Hakobyan als Hilarion und Artur Babajanyan als Albrecht. Insgesamt wird ein hohes tänzerisches Niveau erreicht. Die Essener Philharmoniker unter dem gediegen agierenden Kapellmeister Yannis Pouspourikas ergänzen den gelungenen Ballett-Abend hilfreich.

Pedro Obiera

 

Fotos: Bettina Stöß