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Fakten zur Aufführung 

DIE FLEDERMAUS
(Johann Strauß)
18. Dezember 2011
(Premiere am 10. Dezember 2011 )

Aalto Theater Essen


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Gelungener Genre-Spagat

Ganz unverkrampft und frisch gehen Regisseur Gill Mehmert und sein Team an die Fledermaus heran – und gewinnen. Sein modernes Konzept geht voll auf, kann sich auch dank der grandiosen, farbenfrohen Kostüme von Dagmar Morell im Heute entfalten, ohne an Glanz zu verlieren, und vermeidet, dabei im Plüsch zu ersticken. Dem Team glückt eine besondere, ideenreiche Gratwanderung, wo der Spaß überwiegt, gleichzeitig die im Text verankerte Arroganz und Ignoranz der Personen spürbar bleibt.

Mehmert gelingt es, selbst alt bekannte Pointen der Fledermaus, die immer noch zünden, in junger Frische zu präsentieren. Seine Personenführung erinnert zuweilen an das Musical, und das musikalische Timing steht der Operette ausgesprochen gut. Aber der Regisseur zitiert auch oft das französische Varieté. Da entsteht das Bühnenbild von Jens Kilian im ersten Akt quasi von selbst, Bühnenarbeiter fungieren nebenbei als Rosengarten, in dem sich Tenor Alfred singend herumtreibt. Wo sich Eisensteins Wohnung mit Sofa, Dusche, Tür, Fenster und Schrank nach und nach zusammensetzt, präsentiert sich der zweite Akt mit großem Aufwand. Unter der Aufsicht des seinen Racheplan schmiedenden Dr. Falke wird sogar die Festsaaldecke an ihren Platz bewegt, durch die Prinz Orlofsky mit großem Effekt als Conférencier der dekadenten Party herabgelassen wird. Die Stimmung steigt glaubhaft nach und nach bis zur Pause nach dem „Champagnergalopp“. Anschließend mischt sich der Rauch der Wasserpfeifen erstaunlich gut mit dem atmosphärischen „Brüderlein und Schwesterlein“. Der Übergang vom zweiten zum dritten Akt gelingt schließlich als besonderer Coup: Die hinterlassenen Ballons der Partygesellschaft scheinen die Bühne nach oben zu ziehen und darunter zeigt sich der Gitter-Gang in Franks Gefängnis, in dem ein blendend aufgelegter Tom Zahner als Frosch die leicht zusammengekürzten Dialoge dominiert.

Das ganze Ensemble ist mit spürbarer Freude an dieser kurzweiligen Fledermaus beteiligt und setzt Mehmerts körperbetonte Personenführung mit Elan um, so dass die Charaktere im Konzept sichtbar werden. Selbst im Chor, der wie immer von Alexander Eberle bestens einstudiert ist, sind Individuen zu erkennen und nicht nur eine uniforme Ballgesellschaft. Yara Hassan ist als Ida nicht nur dank ihrer erotischen Kleidung sehr präsent. Albrecht Kludszuweit und Günter Kiefer sind als Dr. Blind und Gefängnisdirektor Frank nicht nur zuverlässige Bühnenpartner, sondern auch rollendeckende Persönlichkeiten. Andreas Hermann hat mit dem Alfred sicher eine Paradepartie gefunden, und Heiko Trinsinger betreibt Dr. Falkes Racheplan mit szenischer und stimmlicher Boshaftigkeit. Der mit großer Theatergeste dominierende Altus Matthias Rexroth schafft es als Prinz Orlofksy, auch diejenigen zu überzeugen, die in der Rolle, wie oft üblich, einen Mezzosopran erwarten, selbst wenn er mit dem Notentext sehr frei umgeht.

Eine vokale Überraschung ist Hulkar Sabirova als Adele. Dank beispielhafter Textbehandlung, bestens geschulter Stimme und quirliger Bühnenerscheinung changiert sie gekonnt zwischen Sopran und Soubrette. Alexandra Reinprecht beeindruckt szenisch als Rosalinde mit der Wandlung von der gehobenen Hausdame im rosa Kostüm zur ungarischen Gräfin mit temperamentvoller Ausstrahlung. Auch stimmlich begeistert sie mit einer geschlossenen Leistung, wo nicht nur der Czárdás mitreißt, sondern die gesamte Partie von Anfang bis Ende aus einem Guss ist. Der großartige Peter Bording nimmt sein selbstbewusstes James Bond-Lächeln von den Plakaten mit in die Vorstellung und zeigt herrlich komisch das Scheitern des Privatiers. Dabei kann er mit seinem schlanken, agilen Bariton aus dem Vollen schöpfen und mit müheloser Höhe prunken.

Stefan Soltesz nimmt Strauß‘ Musik sehr ernst und präsentiert eine wohl ideale Interpretation mit feinen Differenzierungen. Die Essener Philharmoniker sind ja längst auf seinen speziellen schlanken, federnden Klang eingestimmt, und so kann sich der Zuhörer zurücklehnen und den Farbenreichtum der Musik bewundern, den rasanten Rausch miterleben. Das ist Musik, die süchtig macht.

Nach einer hervorragenden Vorstellung hält sich das Publikum im nahezu ausverkauften Haus doch mit Applaus zurück. Starke Gegensätze gab es im Auditorium zu beobachten. Ganz wenige Zuschauer verließen schon in der Pause das Theater, da sie mit der angeblich leichten Muse der Operette nichts anfangen konnten, andere legten ihre skeptische Haltung schon in den ersten zwanzig Minuten ab und fieberten mit den Protagonisten mit. Essen hat mit dieser Fledermaus eine repertoiretaugliche Inszenierung, in der sich die vielen Feinheiten lange halten mögen.

Christoph Broermann

 



Fotos: Iko Freese