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Fakten zur Aufführung 

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
26. Dezember 2013
(Premiere am 20. September 1997)

Aalto-Theater Essen


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Befreiung vom Biedermeier

Ende gut, alles gut: Leonore hat ihren Mann Florestan aus dem Gefängnis befreit, in das er völlig zu Unrecht von Don Pizarro eingekerkert war. Der Minister verhängt eine Generalamnestie und Leonore soll ihrem Mann die Ketten abnehmen. Und während Ensemble und Orchester in ergriffener Dankbarkeit verweilen, rumpelt plötzlich der Eiserne Vorhang nach oben, sperrt Musiker und Bühne aus dem Zuschauerraum aus. Oder soll er das Publikum vor so viel Happy End schützen? „Oh welch ein Augenblick“ wird darauf projiziert. Und das erinnert irgendwie an das berühmte Weihnachtslied Oh du fröhliche…

Doch von Weihnachten oder von einer fröhlichen, gar gemütlichen Zeit ist bei der Wiederaufnahme der Inszenierung von Dietrich Hilsdorf nichts zu spüren. Dass er dem glücklichen Schluss von Beethovens Fidelio misstraut, ist nur logisch angesichts der anderthalb Stunden zuvor, in denen er konsequent dem Stück jeglichen Biedermeier ausgetrieben hat. Hilsdorf inszeniert zwar durchaus einen Fidelio, doch irgendwie wird trotzdem eine andere Geschichte daraus. Sylvie Döring ist für die szenische Leitung der Wiederaufnahme verantwortlich. Alle Dialoge lässt Hilsdorf streichen, setzt auf fortlaufende Musik und verzichtet auf den Text als Übertitel, sondern benutzt stattdessen erläuternde Angaben. Die sind leider nicht immer so pointiert, wie im Gespräch von Don Pizzaro und Rocco, wo man darüber liest: Von Schwein zu Schwein.

Schon beim Betreten des Zuschauerraums fühlt man sich unwohl, angesichts des fahlen Lichtes, das zwei karge Lampen im Stile eines Kerkers in den Raum senden. Ansonsten ist von einem Gefängnis im klassischen Sinne auf der Bühne von Johannes Leiacker nichts zu sehen. Sein Wohnraum mit gemütlich-romantischer Landschaftstapete zeigt eher die bürgerliche Oberflächlichkeit als den Kerker eingeschlossener Sehnsüchte. Und darin brodelt es schon gewaltig, wenn im Finale des ersten Aktes der Männerchor sichtbar den Vormärz probt. Prompt schwenkt das schmucke Wohnzimmer herum, und Florestan befindet sich im weißen Unschuldskleid auf dessen dunkler Schattenseite, wo sich der zweite Akt als Drama abspielt. Selbst der Auftritt eines Herrn, der ein Schild mit der Aufschrift „Ich bin ein Minister“ um den Hals trägt, ist nur eine Farce der Befreiung. Denn an dieser Stelle hat das bewaffnete, gruselige Volk schon die Oberhand gewonnen und beginnt, das Wohnzimmer zu zerlegen.

Wenn der Eiserne Vorhang wieder herabfährt, ist die Oper eigentlich aus. Nur Don Pizarro ist noch unterwegs und verteilt Lilien im Publikum. Das Orchester ist hochgefahren, Chor und Solisten haben rundum Aufstellung genommen. Zusammen trägt man das Lob auf die rettende Gattin vor. Das wurde ja schließlich auch komponiert. Dirigent Stefan Klingele beschließt den Abend in befreiender Rasanz, nachdem er und die Essener Philharmoniker die Aufführung mit einer unaufgeregten Ouvertüre recht brav begonnen haben. Dem schönen, leicht romantischen Klangbild wollen sich nur die Hörner nicht immer anschließen. Mit zunehmender Dauer wird die Interpretation etwas schärfer. Alexander Eberles Chor und Extrachor des Theaters präsentiert sich in Höchstform. Auch bei den Solisten gibt es viel Positives zu berichten. Tijl Faveyts ist eine Idealbesetzung für den Minister und macht neugierig auf weitere Aufgaben. Christina Clark und besonders Rainer Maria Röhr sind charakterstarke Sänger für Marzelline und Jaquino. Almas Svipla ist ein autoritärer Vater Rocco mit leichtem Hang zum Anschleifen der Töne. Jeffrey Dowd beeindruckt in der Bewältigung des Florestan. Das musikalische Duell liefern sich Heiko Trinsinger und Katrin Kapplusch. Trinsiger mag mimisch etwas eindimensional bleiben, ist aber ein mächtig aufbrausender Don Pizzaro, der schon allein vom Libretto das Nachsehen gegen Leonore hat. Aber Katrin Kapplusch singt diese Rolle so gut, dass das keine Schande ist. Ihre völlig klare Stimme spricht nicht nur in ihrer hervorragend vorgetragenen Arie an, sondern bleibt bis zum gefürchteten Töte erst sein Weib in der Spur. Dass sie im Jubelfinale etwas den musikalischen Faden verliert, ist menschlich.

Das Publikum klatscht kurz und laut, mehr gibt es nicht am zweiten Weihnachtstag. So schnell wie einige aus dem Theater verschwinden, sieht das fast nach Flucht aus. Dieser Fidelio ist eben ein klassischer Hilsdorf: Einfallsreich und unbequem.

Christoph Broermann

 

Fotos: Matthias Jung