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Fakten zur Aufführung 

EUGEN ONEGIN
(Peter Iljitsch Tschaikowsky)
25. Februar 2012
(Premiere)

Aalto-Theater Essen


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Jugendliche Leidenschaften

Das Ereignis dieses Eugen Onegin ist die musikalische Auslotung durch Srboljub Dinić, Musikalischer Direktor am Stadttheater Bern, und die aufregend gut disponierten Essener Philharmoniker. Dinić wählt ein forsches Grundtempo, das er durch leidenschaftliche Momente oder durch dramatische Zuspitzungen aufbricht. Das kommt dem Konversationston der Oper zugute, der nie schwülstig aufgeladen erscheint. Die Essener Philharmoniker setzen seine klare Zeichengebung sehr sicher um, gehen in Tschaikowskys Musik hörbar auf. Im schlank-filigranen Klang sind viele Feinheiten zu vernehmen, die den emotionalen Gehalt der Oper wie von selbst unterstreichen. Erhitzte Gemüter, jugendliche Sehnsüchte und volkstümliche Ausgelassenheit spiegeln sich wider im technisch versierten Spiel.

Auch auf der Bühne werden die sozialen Unterschiede durch die Kostüme und klaren Räume von Andreas Donhauser und Renate Martin anschaulich umgesetzt. Das Bühnenbild nutzt die technischen Möglichkeiten des Aalto-Theaters ganz aus.  Der Gutshof Larinas ist eingeordnet am oberen Rand des Mittelstandes, der auch manche Schmarotzer aus der Unterschicht anlockt. Für Tatjanas Briefszene schiebt sich ein kleiner, separater Raum im Teenie-Look nach vorne. Die kalte Säulenhalle auf der Drehbühne, die zur Polonaise nach vorne fährt, vereint emotionale Kälte und schickes Dekor. René Dreher sorgt für eine dezente Lichtregie. Die Kostüme sind nach dem Motto „Kleider machen Leute“ ausgewählt. Von günstig bis billig, von eleganter Abendkleidung bis zu abgewetzter Arbeitskleidung sind alle Typen der Mode vertreten, und Tatjanas weißes Abendkleid ist ein echter Hingucker. Die Inszenierung von Michael Sturminger spielt im Heute, ohne das Werk großartig zu verfremden. Auffällig ist, dass Sturminger mit dem Chor, der in der Einstudierung von Alexander Eberle großartig singt und spielt, fast mehr anzufangen weiß als mit den Reaktionen der Protagonisten untereinander. So wechseln sehr gelungene Momente, wie Tatjanas Brief-Szene, mit eher belanglos abgespulten Gängen. Ein kleiner Höhepunkt ist das Duell zwischen Onegin und Lenski, dass vor einer herrlich-tristen Landschaftsprojektion mit Windrädern und unterstützt von viel zu viel und zu laut heraus gepustetem Trockeneis stattfindet, hier als Russisches Roulette. Noch bevor der tödliche Schuss fällt, fährt wieder das Wohnzimmer der Larina nach oben, wo Tatjana auf das Bild schaut, das ein Duell im Sinne von Puschkins Vorlage zeigt. Ob es dieses Bild ist, das ihn zur Aufforderung zum Duell treibt, oder nur die Leidenschaft des Lenski, bleibt in dieser Sichtweise aber völlig ungeklärt. Im Finale greift Sturminger einen Gedanken dieses Duells wieder auf. Als Tatjana Onegin zurückgewiesen hat, tritt – etwas zu konstruiert – Gremin auf und reicht Onegin wieder eine Pistole. Aber der Mann, der beim Russischen Roulette so todesmutig zuerst die Waffe ergriffen hat, traut sich nun nicht mehr abzudrücken.

Das ist auch die einzige wirklich sichtbare Differenzierung der Titelfigur, und Heiko Trinsinger bleibt somit trotz einer sehr sicher, wenn auch etwas glanzlos geführten Baritonstimme ein wenig blass, woran auch sein engagiertes Spiel nichts ändern kann. Besser gelingt es Victoria Yastrebrova, die Entwicklung der Tatjana zu demonstrieren. Schön jugendlich und verträumt klingt ihre Briefszene. Ganz ernüchtert steht sie vor Onegin im Finale versteckt hinter dem weißen Glamour, wobei ihre Stimme auch einige Schärfen in der Höhe aufweist. Anja Schlösser mit ihrem lebendigen Mezzosopran ist ihr als Schwester Olga ein guter Gegensatz. Zurab Zurabishvili legt sein ganzes stimmliches Temperament und auch viele zweifelnde Untertöne in die Rolle des Lenski. Roman Astakhov profiliert sich in der kleinen Rolle des Gremin und führt die Schar der so kleinen aber wichtigen Nebenrollen an. Günter Kiefer, Michael Kunze, Marie-Helen Joel, Ildiko Szönyi, Arman Manukyan und Frédéric Buhr machen dem Essener Ensemble alle Ehre. Ein besonderes Lob geht an Albrecht Kludszuweit und sein herrlich vorgetragenes Lied des Monsieur Triquet.

Der Applaus am Ende eines insgesamt guten Opernabends ist zwar durchweg freundlich, aber wirklich große Zustimmung bekommen nur Srboljub Dinić und das Orchester. Das Regieteam bekommt ebenfalls einige Bravos, sonst viel freundlichen Applaus. Schon nach knapp sechs Minuten ebbt der Beifall merklich ab, und die Zuschauer stürmen zur Tiefgarage oder zur Premierenfeier. Begeisterung, geschweige denn Dankbarkeit, sieht sicher anders aus.

Christoph Broermann

 

Fotos: Matthias Jung