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Fakten zur Aufführung 

BRILLIANT CORNERS
(Emanuel Gat)
10. September 2011
(Premiere: 24. Juni 2011,
La Biennale di Venezia )

Pact Zollverein


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Schön analytisch

Emmanuel Gat, gebürtiger Israeli, doch mit seiner international zusammengesetzten Kompanie im südfranzösischen Istres zu Hause, wählt als Ausgangspunkt für seine neue Choreografie das Quadrat. Es wird gebildet allein aus Licht: Scheinwerferreihen links, rechts und am Ende der Bühne sind die einzigen Utensilien des Stücks. Die Auslotung der Form ereignet sich nicht in der Strenge der beiden legendären Choreografien Samuel Becketts nach dem Stück Square - ein Stück für vier Schauspieler, Beleuchtung und Schlagzeug, 1981 - die er für den Süddeutschen Rundfunk inszenierte. In kurzen, seriellen Sequenzen erkunden bei Beckett die Akteure das Quadrat, das sie zu Opfern einer Monotonie, zu Gefangenen des Raums macht, dem nicht zu entkommen ist. Gats Quadrat hingegen ist durchlässig. Seine vier Tänzerinnen und sechs Tänzer in sommerlicher Alltagskleidung können es immer wieder verlassen, aus der Gruppe ausscheren, sich ausruhen oder die Aktionen der anderen beobachten. Sie erobern den Raum nicht systematisch, werden auch nicht verpflichtet, ihn von den Rändern her oder im Format systematisch zu vermessen. Mal geht es in der großen Diagonale durch den Raum, mal von hinten nach vorn, mal konzentriert man sich auf bestimmte Segmente. Mehrheitlich scheint sich der Bewegungsimpuls aber assoziativ zu entwickeln. Die Tänzerinnen und Tänzer formieren sich zu Strukturen, die sich wichtiger sind, als die Bezugnahme auf den Ort, in dem sie stattfinden. Diese Strukturen werden variiert, abgebrochen, verlangsamt, beschleunigt, eingefroren, wieder aufgenommen - oft ist es nicht genau erkennbar oder benennbar, wie sich die Bewegungsverhältnisse aus-, gegen- oder miteinander entwickelt haben. Beziehungen untereinander ereignen sich nur sporadisch, Körperkontakte sind vergleichsweise reduziert. Korrelationen bestehen zwar, lösen sich aber schnell wieder. Zehn handelnde Individuen formieren sich energiegeladen zu Ensembles und zum Kollektiv, ohne dass sich das Individuelle im Zweisamen oder Allgemeinen auflöst.

Brilliant Corners ist eine abstrakte Arbeit ohne sichtbare narrative Elemente, in den Worten Gats ist es ein Kommunikationsprozess zwischen Tanz und Musik. Den Soundtrack komponierte Gat selbst. Zwar ist das Werk nach einem Album von Thelonius Monk aus den mittfünfziger Jahren benannt, jedoch ist es nur ein ganz entfernter und unhörbarer Ahnherr. Gat beginnt mit bedrohlichen Sounds, benutzt später Elemente des urbanen Pop, integriert aber auch liebevoll Reminiszenzen an Bach. Insgesamt verfährt er assoziativ, oft nur musikalische Fragmente andeutend, um sie gleich wieder zu entfernen. Einer langen Tanzpassage ist die Musik entzogen, wie um zu erkunden, wie sich Tanz entwickelt und entwirft, wenn Musik nur im Nachklang, in der Erinnerung existent ist, aber doch vom Körper Besitz ergriffen hat.

Brilliant Corners ist ein ungemein eigenes und intensives Stück, das dem Zuschauer einiges an Konzentration abfordert - nicht alle Besucher sind dem gewachsen und manche verlassen gar den Saal. Hat man sich erst mal mit der getanzten Welt, die sehr homogen, organisch und eng verwoben, jedoch nicht hermetisch ist, vertraut gemacht, ist die Sogkraft ungeheuer. Gat beschreibt seine neue Arbeit als "eine kohärente und autonome Welt [...] in einer musikalischen und klanglichen Atmosphäre". Kaum zu glauben, das unser Aufenthalt dort nur eine Stunde währt.

Dirk Ufermann








 
Fotos: Emanuel Gat