Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

THE BLACK RIDER - THE CASTING OF THE MAGIC BULLETS
(Tom Waits, William S. Burroughs,
Robert Wilson )
29. Januar 2012
(Premiere am 3. Dezember 2011)

Schauspiel Essen, Grillo-Theater


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Sechse treffen, sieben äffen

Das Musical The Black Rider, das 1990 am Thalia-Theater in Hamburg Uraufführung hatte, wird oft als Gegenpol zu den großen populären Musicals des Mainstreams gesehen, sozusagen als Cats für Intellektuelle. Natürlich amüsiert sich der kundige Zuschauer z. b. über eine Verballhornung des Jungfernkranzes, aber das Musical funktioniert auch ohne Kenntnis des Weberschen Freischütz. Schließlich nehmen sich die Schöpfer des Musicals auch nicht das romantische Singspiel als Quelle, sondern zwei Hauptquellen, auf die auch der Librettist Kind zurückgreift: Die auf böhmischen Gerichtsakten basierenden Unterredungen aus dem Reiche der Geister von 1730, in dem das Motiv der Freikugeln zum ersten Mal auftaucht und Apels und Launs Gespensterbuch von 1812. In beiden Quellen wird ein junger Mann durch eine mephistophelische Gestalt in Versuchung geführt, auf unlauteren Wegen zu Freikugeln zu kommen und so seine Gier zu befriedigen und künstliche Macht zu erzeugen. Was liegt da für Tom Waits und vor allem für den berüchtigten „Drogenliteraten“ William S. Burroughs näher, als die Freischüsse, mit denen man sich für kurze Zeit so heuchlerisch mächtig fühlt, von denen man abhängig wird und die nichts als Verderben und Tod bringen, als Drogen zu deuten. Das halbe Happy End von Webers Oper hätte nicht der harten Realität entsprochen und so muss Kätchen beim Probeschuss sterben.

In Essen wird durch die Inszenierung von Reinhardt Friese sowohl der teuflische Humor als auch die wirklich tragische und schaurige Geschichte von Wilhelm erzählt, der Käthchen liebt und schließlich verzweifelt und gleichzeitig enthusiastisch vom Angebot des dubiosen Pegleg Gebrauch macht. Man lacht und ist gerührt und zuckt auch manches Mal zusammen. Die Idee einer weiteren stummen Rolle, die als ehemals wohl weiße Taube als Handlangerin und Geliebte Peglegs die Handlung kommentiert, betrachtet und beeinflusst unterstützt die Skurrilität und diabolische Vorausahnung des „Hinkefuß“.
Wer Astrid Lindgrens Werke kennt, wird sich bei den Waldwesen mit den kantigen Bewegungen und den bodenlangen verfilzten Dreads, einerseits an die naiv-bösartigen Rumpelwichte aus Ronja Räubertochter und andererseits an das böse Mädchen aus dem Horrorschocker The Ring erinnert fühlen. Die sonst eher konventionellen Kostüme von Annette Mahlendorf passen sehr gut zu den Charakteren, sei es der schmierigen Bosheit des Pegleg, der mit schmuddeligem Hut und schwarzem Anzug auftritt, der naiv-gutgläubigen Art von Wilhelm im roten Samtwams oder der bemooste Urahn Kuno in seinem schwebenden Portrait. Das Bühnenbild von Günter Hellweg, das mit Schatten und fahlem Licht spielt, unterstützt das unwirkliche Geschehen mit einer Drehscheibe, auf der das Karussell des Schicksals die Charaktere unwirklich vorüber schweben lässt.

Bei der gesanglichen Leistung muss man ein paar Abstriche machen, da keine ausgebildeten Sänger auf der Bühne stehen. Aufgrund der Gefühlsintensität ist es aber zu verschmerzen, dass hie und da mal ein Ton etwas daneben rutscht. Charakterstark und mit guter Artikulation ist vor allem Tom Gerber als Pegleg in Erinnerung, der einen sympathisch-bösen Teufelsverschnitt gibt. Herrlich tollpatschig spielt Johann David Talinski den Wilhelm, das Pendant zu ihm seine Braut Käthchen als verwöhnte und gleichzeitig hellsichtige Laura Kiehne mit sehr angenehm zarter Stimme. Aggressiv und markig tönt Stephan Bauer als Robert. Die stumme Rolle der Taube wird sehr beweglich und ausdrucksstark von Monika Stahler gegeben. Insgesamt zeigt das Ensemble eine sehr gute schauspielerische Leistung.

Absolut überzeugen kann die Band unter der Leitung von Willi Haselbeck, die die stimmungsvolle, fetzige und melancholische Musik von Tom Waits zum Leben erweckt.

Dementsprechend gab es viel Applaus vom Publikum des ausverkauften Grillo-Theaters. Dieses schaurig-spaßige Musical sollte man auf jeden Fall mitnehmen.

Miriam Rosenbohm

 

Fotos: Birgit Hupfeld