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Fakten zur Aufführung 

AIDA
(Giuseppe Verdi)
30. März 2013
(Premiere am 9. Dezember 1989)

Aalto-Theater Essen

Points of Honor                      

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Opern-Dino mit Biss

Es ist ein Opern-Dino im Ruhrgebiet. Ende 1989 hat Dietrich Hilsdorfs Inszenierung der Aida in Essen Premiere. Bis heute ist sie ein wesentlicher Bestandteil des Spielplans am Aalto- Theater. Natürlich hat dieser Dino durchaus ein paar Macken erlitten. Nicht nur im Bühnenbild von Johannes Leiacker, sondern auch in der Personenführung, die in einigen Szenen Richtung Stillstand tendiert. Das ein oder andere verlorene Detail liegt bestimmt auch an der x-ten szenischen Wiedereinstudierung, für die sich Frédéric Buhr verantwortlich zeigt. Auch manche Choreographie wirkt unsicher. Doch die wesentliche Aussage der gänzlich unromantischen Inszenierung bleibt erhalten. Sie hat an Biss nichts verloren und steht Pate für manch andere moderne Deutung, die man in den letzten Jahren im Theater gesehen hat.

Es beginnt mit einem Vorhang, der mit hellen Farben Ägypten als romantische Touristen-Fantasie aus einem historischen Reisekatalog mit Pyramiden, Schilf und Vögeln zeigt. Während des Vorspiels begegnen sich davor die beiden rivalisierenden Prinzessinnen Aida und Amneris, beide stecken in ihren Sehnsüchten um die große Liebe fest. Dahinter entpuppt sich nach und nach der kalte Bühnenraum von Leiacker. Harte Symmetrie hebelt die heile Welt des nun durchsichtigen Gazevorhangs aus. Das Bühnenbild deutet einen Fluchtpunkt an. Doch trotz der vielen Türen auf der linken Seite scheint eine Flucht für Radames und Aida unmöglich zu sein. In einem optischen Geniestreich wandelt sich der Raum zur unendlichen Zone außerhalb des Systems, wo das Liebespaar im Finale gemeinsam endet.

Hilsdorf legt das politisch-religiöse Kalkül des Systems offen. Oberpriester Ramphis, von Leiacker in Kardinals-Farben gekleidet und mit kirchlichen Insignien ausgestattet, zieht natürlich die Fäden mit selbstsicherer Ruhe. In der Tempelszene des ersten Aktes wird Religion als grausames Geschäft gezeigt, wenn ein Kind als Blutopfer ausgewählt wird. Zum Triumphmarsch zieht Hilsdorf alle Register, um die Selbstdarstellung des Kriegsgewinners Ägyptens als Farce zu entlarven. Zwei Tänzerinnen, die Memphis Twins, versuchen in einer haarsträubenden Choreographie Erotik auszustrahlen und zicken sich gegenseitig an. Eine Stimme aus dem Lautsprecher gibt den Moderator. Versehrte Veteranen humpeln über die Bühne, kleine Kinder schwenken begeistert die Fahnen. Elefantenmänner vertreten die Waffenlobby, Krokodilssklaven schnuppern an einem Präsentkorb, gefüllt mit Gliedmaßen. Unterbrochen wird die Feier durch den Auftritt der gefangenen Äthiopier, hier Wilde im angedeuteten Adamskostüm. Der König nimmt die Huldigungen im ersten Rang entgegen, ein Teil des Chores sowie die berühmten Aida-Trompeten sind auf dem dritten Balkon positioniert.

Musikalisch ist das ein Triumphmarsch in Dolby Surround. Das gesamte Theater wird von diesem Moment mitgerissen. Alexander Eberle hat nicht nur für diese Szene Chor und Extrachor großartig vorbereitet. Inmitten des Spektakels steht Dirigent Srboljub Dinic und reißt Orchester und Sänger mit präzisem Schlag zu einem rhythmisch straffen Spiel mit vehementer Attacke hin. Sein spannungsgeladenes Spiel macht Effekt, und einige im Publikum klatschen prompt zu früh in eine Generalpause hinein. Doch auch die leisen Momente prägt Dinic mit dem bestens disponierten Essener Philharmonikern zu zwingender Intensität. Der Dirigent fordert sehr deutlich von den Musikern absolute Aufmerksamkeit, Lob wie Missfallen zeigt er ganz offen.

Vokal wird diese Aida mit großer Leidenschaft gekocht. Vor allem Adina Aaron in der Titelrolle darin überragend. Ein leichtes Plus hat sie in den erschütternden Ausbrüchen gegenüber leicht angeschlagenen Piani, doch die Wirkung schmälert das kaum. Bei Mikhail Agafonov fällt dieses Urteil noch deutlicher aus: Im Forte erobert er mit stark metallenem Anteil langanhaltende Spinto-Höhen. Im Piano ist sein Radames wesentlich furchtsamer, zugleich auch etwas intonationschwächer. Die großartige Marina Prudenskaja steht als Einspringerin auf der Bühne. Auch wenn ihr ab und an stimmliche Durchschlagskraft abgeht, ist ihre glutvoll gesungene Amneris ein gelungenes Portrait und eine würdige Gegenspielerin von Adina Aaron. Aalto-Urgestein Marcel Rosca repräsentiert machtvoll als Ramphis das System, Michael Haag unterstützt ihn souverän als König. Wie gefährlich der Amonasro klingen kann, zeigt Michele Kalmandi mit raumgreifendem Bariton, der keine Orchesterwogen zu fürchten braucht.

Leichte Nachteile hat die Aufführung leider auch: Man spielt die von Verdi nicht autorisierte Fassung mit einem Nerv tötenden Fiepen, das nur im schönsten Piano zu hören ist. Das kann ein Luftzug, eine Klimaanlage oder ein Hörgerät sein. Jedenfalls begleitet es die Aufführung mit Unterbrechungen bis zum Schluss. Interessant sind die Publikumsreaktionen in der Triumphszene: Die einen schauen sich unruhig um, mit Blicken, die fragen: Darf man das? Muss das so? Die anderen amüsieren sich oder schauen stoisch nach vorne. Man kennt halt den Hilsdorf. Der Sitznachbar schaut immer dann, wenn es ruhig wird auf der Bühne, auf die Uhr. Klatschfaul ist im ausverkauften Haus erst mal keiner, doch als sich die Zuschauer zuerst für Adina Aaron, der Rest für Srboljub Dinic von den Sitzen erheben, bekommt der Applaus eine ungeahnte Wendung: Einige denken, dass ihre schnelle Ausfahrt aus der Tiefgarage gefährdet ist, und schon beginnt der hektische Exodus aus dem Theater. Das passt dann wieder zum alten Ägypten.

Christoph Broermann

 





Fotos: Matthias Jung